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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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hasste. Seine wasserblauen Augen hatten mir immer tiefe Stiche versetzt.
    Eunice und ich traten den Weg zu unseren Plätzen an, zwischen uns ein anständiger Mitbewohner-Abstand von mindestens einem Meter staubiger Luft. Männer mittleren Alters, erschöpft von Neunzig-Stunden-Arbeitswochen, saßen zusammengesunken auf den Sitzen, ohne Schuhe, und holten sich wertvollen Schlaf, ehe der Gebetsmarathon begann. Ich hatte den Eindruck, Erste-Klasse-Koreaner waren das nicht, die nämlich waren zumeist in ihre Heimat zurückgekehrt, als das ökonomische Pendel wieder in Richtung Seoul ausschlug. Die Menschen hier mussten aus den ärmsten Provinzen stammen, hatten daheim keinen Zugang zu den besseren Universitäten erlangt oder auf schreckliche Weise mit ihren Familien gebrochen. Die Ära der koreanischen Gemischtwarenhändler, die ich als Kindnoch erlebt hatte, war so ziemlich am Ende, doch die Leute, die mich hier umgaben, waren kaum assimiliert, waren dem zitternden Herzschlag der Einwanderungserfahrung nach ganz nah. Sie hatten kleine Geschäfte außerhalb der Goldgruben Manhattans und des viktorianischen Brooklyns, sie mühten sich ab und rechneten, sie trieben ihre Kinder bis über die Grenze des Schlafentzugs an – bei ihnen gab es keinen beschämenden Notenschnitt von 86,894, kein Gerede vom Boston-Nanjing College für Metallkunde oder der Tulane University.
    Ich war auf eine Weise nervös, wie ich es seit meiner Kindheit nicht mehr gewesen war. Bei meinem letzten Besuch in einem Gotteshaus hatte mich die wütende, bejahrte Gemeinde der Synagoge Beit Kahane ausgeschimpft, weil ich das Kaddisch der Waisen für meine Eltern gesungen hatte, die ganz offensichtlich gar nicht tot waren, sondern ahnungslos neben mir standen und mit den Lippen die hebräischen Worte formten, die wir alle nicht im Geringsten verstehen konnten. «Wunschdenken», hatte meine Sozialtherapeutin zehn Jahre später gesagt, während ich in ihrer vollgestopften Praxis in der Upper East Side schluchzte. «Ein schlechtes Gewissen, weil du dir ihren Tod gewünscht hast.»
    Mein silbriges Jackett glitt an den Reihen ausgelaugter Koreaner vorbei. Ich musste verhindern, dass ich noch mehr schwitzte, denn die Verbindung von Salz und dem Poly-was-auch-immer meines Jacketts hätte uns alle vorzeitig in Jesu wartende Arme treiben können. Und dann sah ich sie. Gut platziert, saßen sie mit gesenkten Köpfen da, entweder aus Scham oder weil sie schon vorzeitig mit Beten loslegen wollten. Die Familie Park. Der Misshandler, die Ermöglicherin, die Schwester.
    Mrs.   Park sah zwanzig Jahre älter aus, als Eunice es mirgesagt hatte – knapp über fünfzig. Fast hätte ich sie mit einer anderen von Grace gelernten Bezeichnung angesprochen –
«halmoni»
  –, aber ich war mir ziemlich sicher, dass sie nicht die Großmutter war, sondern dass Eunice’ Großmutter längst irgendwo am Rand von Seoul in der Erde lag. «Mommy, das ist mein Mitbewohner Lenny», sagte Eunice mit einer Stimme, wie ich sie noch nie gehört hatte, ein gerufenes Flüstern, das in Richtung Flehen ging.
    Mrs.   Park hatte ihre Augenbrauen à la Eunice bis auf einen winzigen Überrest ausgezupft, und auf ihren vollen Lippen lag ein Hauch von Rot, doch das war auch schon alles an Verschönerung. Ein weites Spinnennetz der Resignation hatte sich über ihr Gesicht gebreitet – als lebte in ihrem Leib ein Parasit, der langsam, aber entschlossen alle Komponenten verzehrte, die bei anderen Menschen Zufriedenheit und Glück hervorrufen. Sie war hübsch – klare Züge, gleichmäßig ausgerichtete Augen, kräftige und gerade Nase   –, doch ihr Anblick erinnerte mich an aus Scherben zusammengesetzte griechische oder römische Töpferkunst. Man wollte sich auf die Schönheit und Eleganz der Gestaltung konzentrieren, doch der Blick blieb immer wieder an den mit dunklem Klebematerial ausgefüllten Rissen und Sprüngen, an den fehlenden Henkeln und wahllosen Schrammen hängen. Es brauchte Phantasie, sich Mrs.   Park als die Person vorzustellen, die sie gewesen war, ehe sie Dr.   Park kennengelernt hatte.
    Ich beugte den Oberkörper zur Begrüßung, nicht so tief, dass es die Sitte ins Lächerliche gezogen hätte, aber doch tief genug, um zu zeigen, dass ich um die Tradition wusste. Ich schüttelte Dr.   Park die Hand und fühlte mich sofort minderwertig und beschämt. Seine Hände waren so stark wie alles andere von ihm. Er war ein außergewöhnlich gut aussehender Mann, offenbar war er es,

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