Super Sad True Love Story
zu einem Potpourri an, das vom Sakralen bis zum Bizarren reichte. Wir hörten ein Violinkonzert von Mahler, dann die erhebende koreanische Pophymne «Forever Young» von Alphaville, die von entkräftet wirkenden Teenagern mit schlechten Haarschnitten und engen Jeans gesungen wurde, und eine Power-Rock-Hommage an die Epheser, welche die ältere Hälfte der Gemeinde sichtlich überforderte. Den Schluss bildete «Leise und inniglich mahnet der Heiland». Dieses letzte Lied rüttelte die Gemeinde auf, die nun laut und kraftvoll zu singen begann, während sich als eine Art PowerPoint-Präsentation der koreanische und englische Text auf einer großen Leinwand aufbauten, vor einem Hintergrund aus Orchideen, die einen Fluss hinabtrieben, und einem überdeutlichen Copyright-Zeichen, das unser gesetzestreues Wesen zu beruhigen schien. Alle sangen die richtige Melodie, und sogar die Älteren formten die englischen Worte gekonnter als meine Eltern, wenn sie in ihrer Synagoge versuchten, Sch’ma Jisrael (Höre, Israel) anzustimmen.
Unvermittelt traf mich die Zeile «Kannst du noch warten?/Ach, siehe, dein Heiland flehet so innig und warm.» Überall um uns herum lag die englische Sprache im Sterben, und das Christentum war und blieb eine unbefriedigende Wahnvorstellung, doch die Wirkkraft dieses Satzes – der clevere Mix aus Kitsch, Schuldgefühl und herzzerreißender Symbolik: der Heiland, der um die Aufmerksamkeit und Liebe dieser ausgenutzten Asiaten
fleht
– ließ mich erschauern. Das Schlimme war: Es waren wunderschöne Worte. Zum ersten Mal im Leben tat mir Jesus leid. Leid, weil die Wunder, die ihm zugeschrieben wurden, im Grunde nichts verändert hatten. Weil wir allein waren in einem Universum, wo selbst unsere Väter uns an ein Stück Holz nageln ließen, wenn ihnen danach war, oder uns die Kehle durchschnitten, wenn man es ihnen befahl – man denke nur an Isaak, auch so ein trauriger jüdischer Schmock.
Ich sah Eunice an, die ihr biederes Schuhwerk betrachtete, und dann Sally, die mit großem Ernst bei der Sache war, die Lippen in Bewegung, den Blick auf der Leinwand, auf die weitere pastorale Bilder projiziert wurden, ein amerikanischer Hirsch, der an zwei amerikanischen Birken vorübersprang. Ich spürte nichts als den so jammervollen wie hoffnungsfrohen Hauch, der aus ihrem Mund wehte.
«O welche Wunder der göttlichen Liebe,/Die uns in Jesus erscheint.»
Einige der Älteren hatten angefangen zu weinen, ein tiefsitzendes, blutendes Geräusch, das nur den Leidenden Linderung bringt. Weinten sie um sich selbst, um ihre Kinder, um die Zukunft? Oder gehörte dieses Weinen einfach dazu? Bald schon verließen zur allgemeinen Enttäuschung Chor und Musiker die Bühne, und Reverend Suk trat ans Podium.
Er war ein adretter Mann mit täuschend freundlichen Zügen, breiten Schultern, die einen dunkelblauen Mittelklasseanzugausfüllten, und einem unschuldigen Lächeln, das er nach einer Strafpredigt wie eine Belohnung einsetzte – als wäre er ein Vater, der die Liebe seines Kindes wiedergewinnen will, nachdem er ihm das Spielzeug weggenommen hat. Für die Bürger eines unsicheren, sich rasend entwickelnden Landes, wie es Korea bis vor kurzem gewesen war, schien er der perfekte Prediger zu sein.
Reverend Suk und einige seiner jüngeren Mitstreiter wechselten sich darin ab, uns auf Englisch und Koreanisch anzubrüllen. Ich warf Dr. Park einen Blick zu, der stumm, mit im Schoß gefalteten Händen dasaß, die dunkle Brille hatte er abgenommen, ich sah jetzt tiefe Falten sowie einen Anflug unterdrückter Wut. Es würde mich nicht überraschen, wenn er den Reverend hasste oder sich für klüger hielt. Eunice hatte mir erzählt, dass er ab vier Uhr morgens in der Heiligen Schrift las und auch den Koran und Hindutexte studierte. Ein kluger Mann, hatte sie stolz gesagt, aber dann wieder das starre Lächeln aufgesetzt, als wollte sie sagen:
Siehst du, wie wenig mir «klug» bedeutet?
«Warum so viele Plätze sind leer?», brüllte Reverend Suk uns anklagend entgegen, denn wir hatten unsere Pflicht nicht erfüllt, wir waren in seinen und Gottes Augen Versager. «So viele Leute auf der Straße, aber so viele Plätze leer! Dieses Land war einmal tief und fest in der Schrift! Wo alle sind jetzt?»
Zu Hause, die ducken sich, wollte ich ihm antworten.
«Akzeptiert nicht eure Gedanken!», rief der Reverend, und aus den Kupferkreisen seiner Augen strahlte schmerzfreies Feuer. «Akzeptiert nur Welt von Christus, nicht eure
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