Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
Vom Netzwerk:
Gedanken! Ihr müsst von euch werfen! Warum? Weil wir sind schmutzig und verderbt!» Da vor ihm saß das Publikum – niedergeschlagen, zurückhaltend, willfährig. Ich will ja nicht zu kleinlich sein, aber diese makellos frisierten undherausgeputzten Frauen, jede Haarpracht wie ein Heiligenschein, die Schulterpolster wie Rangabzeichen, waren genau das Gegenteil von schmutzig.
    Doch sogar die ameisengleichen Kinder, selbst diejenigen, die noch nicht sprechen konnten, begriffen, dass sie Sünder waren und es um einen Kreuzzug ging; dass sie etwas unermesslich Falsches getan und sich zu einem unpassenden Zeitpunkt besudelt hatten, ja dass sie ihre armen, hart arbeitenden Eltern bald schon vielfach enttäuschen würden. Ein kleines Mädchen fing an zu weinen, eine Art rotzverstopftes Schluckauf-Schluchzen, bei dem ich sofort hin- und sie trösten wollte.
    Jetzt setzte Reverend Suk zum tödlichen Stoß an. Drei Worte hatte er als Pfeile im Köcher: «Herz», «Last» und «Scham».
    Und zwar: «Mein Herz ächzte unter schwere Last.»
    «Solch ein Herz ich habe. Dscheschusch, hilf mir, es wegzuwerfen!»
    «Wenn du mich siehst in einer Position von Scham» – das war anscheinend eine wörtliche Übersetzung aus dem Koreanischen, und das Fremdwort sprach er unter großen Schwierigkeiten
Po-shi-tschon
aus   –, «so erfülle mein belasteter Herz mit Deiner Gnade! Denn nur Dscheschu Gnade kann retten euch. Nur Dscheschu Gnade kann retten dieses gefallene Land und schützen vor Aziz’ Armee. Denn ihr wertschätzt nicht. Denn ihr seid stolz. Denn ihr seid Christi nicht würdig.»
    Mein Blick schweifte zurück zum Copyright-Zeichen am unteren Rand der Leinwandbilder von springenden Hirschen und schwimmenden Orchideen, die von Kernsätzen aus Reverend Suks Predigt auf Englisch und Koreanisch überblendet wurden («WEGWERFEN STOLZ», «JESUS GNADE RETTET DICH», «GROSSE SCHAM»). Wietröstlich das Copyright-Zeichen vor religiösem Hintergrund wirkte. Wie beruhigend der Gedanke, dass wir nominell ein Land der Gesetze waren.
    Ich fragte mich, ob die jungen Leute, die die PowerPoint-Präsentation machten, wirklich an Gott glaubten. Schon immer habe ich mir gewünscht, ich könnte das, was Korea mit dem Christentum verband, besser verstehen. Einer meiner Freunde unter den Indianern der Posthumanen Dienstleistungen, einer unserer besten Nanotechnologen, der außerdem Überlebender nicht bloß eines, sondern zweier koreanischer Bibelcamps war, hatte mir mal gesagt: «Eins musst du dir klarmachen – im Vergleich mit der koreanischen Abart des Konfuzianismus ist das Christentum ein Zuckerschlecken. Im Vergleich zu dem, was ihm vorausging, ist der Protestantismus geradezu eine Befreiungstheologie.»
    Ich musste an Grace denken, deren Intelligenz außer Frage stand, doch deren Frömmigkeit mich verstörte. «Das ist bloß eine Phase», hatte Vishnu über den Glauben seiner Freundin zu mir gesagt. «So machen das die nun mal, die sich im Westen assimilieren wollen. Das ist wie ein Verein oder so was. Noch eine Generation, dann ist es vorbei.» Ich mochte nicht glauben, dass Grace’ zutiefst persönlichen Erfahrungen – das mit zahlreichen Unterstreichungen versehene Neue Testament, das sie mir einmal gezeigt hatte, die wöchentlichen Besuche in einer Episkopalkirche voller Jamaikaner – bloß Aspekte einer Assimilation waren, doch ich wusste instinktiv, dass jenes Kind, das sie austrug, den Herrn nicht preisen würde.
    «Vergesst alles, was ihr Gutes habt getan!», rief Reverend Suk. «Wenn ihr stolz auf Gutes, wenn ihr nicht wegwerft Gutes, werdet ihr nie treten vor Gott. Akzeptiert nicht das Gute vor Gott! Akzeptiert nicht eure Gedanken!» Ich sah Eunice an. Sie spielte mit den Riemen ihrer hellbraunenJuicyPussy-Handtasche, die fast so groß war wie sie selbst, ließ die Riemen über ihre Finger wandern, schnürte sich flüchtige rote-weiße Muster in die kalkweiße Haut, bis ihre Mutter nach ihrer Hand griff und ein kurzes, kräftiges Schnauben in ihre Richtung schickte.
    Ich wollte aufstehen und zum Publikum sprechen. «Ihr müsst euch für nichts schämen», wollte ich sagen. «Ihr seid anständige Menschen. Ihr gebt euch Mühe. Das Leben ist sehr beschwerlich. Wenn euer Herz eine Last trägt, wird sie euch hier nicht abgenommen werden. Schätzt das Gute nicht gering. Seid stolz auf das Gute. Ihr seid besser als dieser zornige Mann. Ihr seid besser als Jesus Christus.»
    Und dann wollte ich noch hinzufügen: «Wir Juden, wir

Weitere Kostenlose Bücher