Superhirn Sammelband
daß die Behauptung des Experten auf diesen Fall nicht paßt – mag im Jahr 1913 tausendmal ein Bimmelbähnchen an derselben Stelle ins Meer gestürzt sein.«
»Na eben, na eben!« rief Madame Dydon. »Ich erinnere mich? In meiner Kindheit hat man dauernd da von gesprochen!«
»Der Miller-Effekt, von dem der Experte sprach«, fuhr Superhirn fort, »war längst vor Miller bekannt. In England machte man schon im vorigen Jahrhundert die Erfahrung, daß die schneller gewordenen Züge einander berührten, wenn sie sich auf zweigleisigen Strecken begegneten! Diesen Effekt hatte man nicht geahnt, er trat ja erst auf, als die Bahnen sprunghaft schneller wurden. Und man löste das Problem denkbar einfach: Man verlegte Doppelstrecken mit größerem Zwischenraum.«
Superhirn zog seinen Notizblock und machte eine erläuternde Skizze zu seinen Worten: »Aber wir haben es hier mit einer eingleisigen, technisch völlig einwandfreien und neuen Strecke zu tun. Eine Neigung des Zuges gegen den Fels durch einseitig fehlenden Luftwiderstand hätte keine Schrammwirkung, denn das neue Gleis hatte genügend Abstand. Na, Micha, was ist dir sonst noch aufgefallen?«
»Die Schutzmauer zur Seeseite«, antwortete Micha prompt. »Sie wirkt zwar sehr niedrig, vom Plateau her gesehen – oder wenn man auf dem Kranwagen steht. Aber ich mußte erst auf eine Betonschwelle steigen, um drüber weg zu gucken!«
»Zwei Betonschwellen!« berichtigte Superhirn. »Du mußtest auf zwei Betonschwellen steigen, Längsstufen unterhalb der Mauer, jede 25 cm hoch. Ich habe sie gemessen, ich habe auch die Höhe der Mauer gemessen. Die Gesamthöhe ab Schienenkante beträgt bis zur Mauerkante 170 cm! Und der SILBERBLITZ ist nur 200 cm hoch!«
»Nun bin ich aber gespannt, was das bedeutet!« rief Madame Dydon.
»Der Fall liegt also ganz anders als das Bimmelbahn-Unglück von 1913!« begriff Gérard.
»Darauf werden die Fachleute auch noch kommen«, meinte Madame Dydon, »Aber das Motorrad und die Trümmer?« Sie schüttelte den Kopf. »Sollte Otellos Tante recht haben, daß da Hexerei im Spiel ist?«
Sie reichte Tat! eine dampfende Porzellanplatte:
»So, und nun denkt mal eine Weile an etwas anderes. Laßt euch die Schinkenpastete schmecken. Ich muß nach Hause. Aber wenn ihr meine Meinung hören wollt: Otellos Verlobte ahnt mehr, als sie sagt …«
»Susanne?« fragte Tati ungläubig. »Ich fand sie nett und ehrlich, sehr nett und sehr ehrlich sogar!«
»Nichts für ungut!« rief Madame Dydon in der Tür. »Also dann: Bis morgen …«
»Stimmt«, meinte Micha, als sie abgefahren war, »Otellos Verlobte muß sogar etwas ahnen, denn so dumm kann sie nicht sein …« Er schwieg.
Tati blickte auf. Stirnrunzelnd sah sie ihren jüngeren Bruder an. »Was ist nur mit dir los, Micha? Seit heute mittag benimmst du dich so komisch!«
»Es fing damit an, daß ihm schlecht wurde«, erinnerte sich Gérard.
»Und was meinte Superhirn, als er dich, Micha, beschuldigte, du verschweigst uns was?« rief Tati.
»Und, wenn ich fragen darf, was verheimlichst du?«
»Frag mich lieber, was ich im Gepäck habe!« erwiderte Micha, »Den Schutzhelm des Lokführers vom SILBERBLITZ!«
»0-o-otellos Helm . . .?« schluckte Prosper.
»Den – und noch mehr! Ihr werdet euch wundern. Die Bombe liegt oben – in meinem Schrank!«
Gefolgt von dem verstörten Pudel, sausten die Geschwister und ihre Freunde ins oberste Stockwerk des Turms, wo Tati und Micha auch in diesem Jahr wieder wohnten. Micha zog aus dem Schrank den prallen blauen Beutel, in dem Superhirn einen Fußball vermutet hatte. Hastig zerrte er am Reißverschluß.
Tati rief: »Aber das Ding hast du 300 Kilometer weit mit dir herumgeschleppt! Ist das etwa deine Überraschung?«
Micha hockte atemlos auf dem Boden. Bevor er die »Überraschung« sehen ließ, sagte er: »Es waren bloß 200 Kilometer, Tati. Ich hab in Tribourg auf die Landkarte geguckt.«
»Tribourg .. .?« fragte Superhirn. »Da habt ihr doch übernachtet, ehe ihr in den Atlantik-Expreß gestiegen seid. Na und …?«
»W-w-wir waren in Tribourg in der Jugendherberge«, stotterte Prosper aufgeregt. »T-t-tati wollte den Ballettabend im Schloß sehen. Heute früh fuhren wir dann hierher. Als wir in Tribourg zum Bahnhof radelten, blieb Micha zurück: Er wollte sich ein Ei-ei-eis kaufen. Und dabei…«
»Und dabei schimpfte ein Gärtner mit mir«, berichtete Micha weiter, »Er hielt mir so 'nen komischen Helm vor die Nase und behauptete, den hätt ich
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