Superhirn Sammelband
dazu in einem hotelähnlich ausgebauten Leuchtturm, hatten sie ihr Ferienquartier. Henri machte sich und den anderen gewiß nichts vor, wenn er sagte:
»Möchte wetten, keine Jugendgruppe der Welt würde mit uns tauschen!«
Im Westen, gleich unterhalb des Steilhangs, donnerte die See.
»Sie macht Musik!« behauptete Prosper.
Bei Flut schäumte die Brandung in die unteren Löcher der Felsen. Dann schien der ganze Turm zu »gurgeln«. Doch aus den Lücken über dem Wasserschwall schoß rhythmisch die verdrängte Luft ins Freie. Dem dumpfen Getrommel folgte jedesmal ein seltsamer vier-oder Fünfklang wie aus riesigen Flöten. Rubbubbubbubbubb – haaa-hooo-huuu-hiii – mit einem im Rauschen versiegenden Schluchzer am Ende. Das war ein ewiger Wasser-und Luft-Effekt. In das atemberaubende Orgelspiel mischte sich das metallische Pfeifen der fächernden Windstöße über den Köpfen der Kinder und das Geschrei der Möwen.
Tati, die als begeisterte Ballettschülerin von Musik mehr verstand, hörte ganze Orchesterstücke samt Mißtönen aus dem Naturkonzert heraus.
Es war noch sehr früh am Morgen. Trotzdem wimmelten die Strände im Süden des Caps Felmy von Menschen. Micha verglich sie mit »hüpfenden Bonbons«. Aber auch die Surfer und die Drachenflieger waren schon auf dem Plan, und weiter draußen, zwischen den robusten Fischerbooten, tanzten die Segel rassiger Jachten.
»Ich radle nach Brossac«, sagte Tati. »Da gibt's eine Ballettschule, und dort können auch Sommergäste Kurse belegen.«
»Bist du noch zu retten?« ächzte Gerard. »Ebenso könntest du dich als Soldat zur Fremdenlegion melden und in einem Wüstenfort Kamele satteln! Was meinst du denn, wie heiß es heute wird?«
»Die Kamelsoldaten, die du meinst«, lachte Henri, »gibt's nur noch im Film.«
»Aber ein Kamel ist da!« sagte Tati – mit Blick auf Gérard. »Und ein recht faules, schätze ich. Es wird sich in den Schatten legen und den ganzen Tag schnarchen!«
»Na, was meinst du, was ich mache?« rief ihr Bruder Henri. »Ich radle mit den anderen zum Strand – und dann packen wir uns in die Nähe einer Eisbude!«
»Sehr in die Nähe!« bekräftigte Prosper.
Micha hatte nach Osten gespäht und nach seinem schwarzen Zwergpudel Loulou Ausschau gehalten. Der Hund sprang unten am Sockel des Turms herum. Man hörte ihn bellen. Grinsend kam Micha zurück:
»Sagtest du nicht, das ist ein Tag zum Blumenpflücken?« fragte er seine Schwester. »Wetten, du hast dich geirrt? Es wird ein Tag zum Staublappen-Ausschütteln werden«
Nun rannten alle zur Ostseite der Plattform.
Vom Gelände des Staatlichen Forschungsamtes her, dem Cap Felmy mit dem zweckentfremdeten Leuchtturm gehörte, kam ein putziges Dreiradmobil über den Pfad geholpert, ein Leichtmotorrad mit Ladepritsche, wie es neuerdings wieder wegen seiner Zweckmäßigkeit an den Stränden gern verwendet wurde. Loulou bellte freudig.
»Madame Dingdong!« murmelte Gérard entgeistert. »Die hat uns noch gefehlt – ausgerechnet heute!«
Frau Yvonne Dydon, genannt »Dingdong«, die da energisch angeknattert kam, erinnerte in ihren Körperformen an einen Medizinball mit einem Handball drauf. Sie war die zuständige Putzfrau für das Ferienquartier der Freunde. Und da die jugendlichen hier als Gäste des Institutsprofessors Romilly umsonst wohnten, hatte man Tati und die jungen gebeten, ihr zu helfen: So war ihr Mann, Martin Dydon, für wichtigere Arbeiten frei. Es wäre unanständig, ja geradezu eine Gemeinheit gewesen, sich zu drücken. Um so mehr, als Madame Dydon eine »goldene Seele« war.
»Dingdong!« schrie Micha. »He, hallo, Madame Dingdong!« Nun riefen alle im Chor, das Klingeln einer Glocke nachahmend: »Ding-dong, ding-dong, ding-dong …!«
Die robuste Frau hatte den Motor ihres Dreirads abgestellt. Den Necknamen erkannte sie als Freundschaftsbeweis längst an. Mit einer Hand winkte sie hoch, mit der anderen versuchte sie den Pudel zu streicheln.
»Also gut!« Tati mußte lachen. »Es hilft nichts! Gérard hat's herbeibeschworen: die Kamele im Wüstenfort – das sind jetzt wir … Und Superhirn hat ein Glück! Der ist auf einem Forschungsschiff und kommt erst abends wieder.«
»Superhirn« war das sechste Mitglied der Feriengruppe. Den ungewöhnlichen »Titel« verdankte er, der in Wahrheit Marcel hieß, seiner oft erprobten Blitzgescheitheit. Eine halbe Stunde später – Madame Dingdong mußte natürlich erst ihre Tasse Kaffee haben – herrschte in den Kammern und auf
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