Superhirn Sammelband
spöttisch meinst, hast du dich geirrt, mein Lieber! Die Pferde da …« Er wies zum Feldweg hinüber: »Die Pferde sind tatsächlich Gespenster! Das heißt, mit ihnen ist was nicht in Ordnung! Ich sah den Rappen und den Schimmel, als die Dingdong gerade abfuhr. Da bin ich hochgesaust, hab mein Fernglas vom Bord geschnappt und die Biester aufs Korn genommen.«
»Und?« fragte Gérard, dessen Miene sich wieder verdüsterte.
»Die Pferde benahmen sich nicht wie reiterlose Gäule!« betonte Superhirn. »Die Zügel schwebten hinter den Mähnen der Tiere diagonal ins Nichts, aber so, als hielte sie einer, der auf ihnen säße! Desgleichen baumelten die Steigbügel nicht schlapp – sie hingen an gestrafften Riemen, und nicht etwa mit den Öffnungen seitwärts. Gangart und Kopfhaltung des Rappen und des Schimmels wiesen auf geübte Reithilfen hin!«
»ich freß einen Fußball mit Tomatensoße!« staunte Gérard. »Stimmt. Wenn du das so sagst, fällt mir ein, daß ich's auch bemerkt habe! Die Biester trabten wie beritten, aber auf den Sätteln saßen Herr und Frau Niemand!«
»Herr und Frau…« japste Prosper. Er richtete sich auf und spähte zum Feldweg. »Die Geisterpferde, die wir sahen, sprachen nämlich mit männlicher und weiblicher Stimme. Der Rappe als Mann, der Schimmel als Frauk »umgekehrt«, verbesserte Micha, »genau umgekehrt! Der Rappe hatte eine helle Frauenstimme. Eine Mädchenstimme, glaube ich, war's. Und das weiße Pferd sprach tief und rollend – wie so ein Baß in der Oper.«
»Also, jetzt …«, begann Tati wieder gereizt, »jetzt wird's mir zu dumm! Darf ich euch daran erinnern, daß wir abfahren wollten?«
»Du wolltest fahren!« berichtigte Superhirn. Er setzte das Fernglas an die bebrillten Augen.
»Die Geisterpferde sind offenbar im Schloßpark von Rodincourt verschwunden. Hm…«
Er hüllte sich in Schweigen, während es den anderen unter den Schuhsohlen kribbelte. Auch dem Pudel war nicht wohl. Er lief immerzu schniefend um die Gruppe herum.
»D-d-die Geisterpferde könnten sich gut in dem Schloßpark verstecken«, überlegte Prosper.
»A-a-aber was mir siedendheiß eingefallen ist: Superhirn hat recht – ich wollte es vorhin schon sagen. Diese – diese Gespenster …« Er schnaufte. »Ich könnt's beschwören, daß ich Reitgerten mitschweben sah, und zwar neben und oberhalb der Sättel!«
»Aber was hat das mit Madame Dingdong zu tun?« fragte Tati unwillig. »Erst die sprechenden Pferde, dann die Geisterreiter in leeren Sätteln – und inzwischen eine sonst völlig normale Putzfrau, der eine Pfanne mit Koteletts voranschwebt!«
»… schwebt … !« hakte Superhirn ein. »Das ist das entscheidende Wort. Merkt ihr was?«
Henri schlug sich mit der Hand vor die Stirn:
»Klar! Prosper faselt von schwebenden Reitgerten, und wir – wir wollen bei Madame Dingdong die ,schwebenden Koteletts gesehen haben!«
»Wir wollen nicht, wir sahen wirklich!« stellte Tati richtig. Plötzlich war sie genauso gelassen wie Superhirn: »Und wenn wir nicht faseln, dann faselt auch Prosper nicht!«
Alle schwiegen, und in dieses Schweigen hinein tönte das Aufjaulen des Pudels. Auf dem weiten Wiesengelände zwischen Schloß Rodincourt zur Linken und dem Forschungsinstitut rechts von Cap Felmy begannen plötzlich seltsame Stengel zu sprießen. Es war wie in einem botanischen Lehrfilm im Zeitraffertempo. jeder hat das schon auf dem Bildschirm gesehen. Zunächst verrät die Erde den eingesäten Samen noch nicht. Doch dann beginnt er zu keimen, zu sprießen. über der Oberfläche zeigt sich die Spitze eines Pflänzchens. Der winzige Kopf ragt nur wenig hervor, es ist, als müsse er sich an die Luft gewöhnen – oder als traue er dem Frieden über dem Erdboden noch nicht. Dann aber wird er keck und streckt sich rasch und immer rascher: bis die ausgewachsene Pflanze – zentimeter-oder meterhoch – selbstbewußt in der Gegend steht.
Dieses Wunder vollzog sich jetzt in Sekundenschnelle hundertfach und über eine weite Fläche hinweg vor den Augen der Freunde. Nur, daß es sich hier weder über einen Pflanzenversuch noch um einen filmischen Beschleunigungstrick handelte. Außerdem waren die Stengel nicht grün, bräunlich oder sonstwie naturfarben, sondern metallischsilbrig. Und sie trugen weder Blätter noch Blüten.
Loulou vollführte die tollsten Kapriolen, als wisse er nicht, ob er zwischen den weitverstreuten unheimlichen, dünnen, blinkenden Stahlstangen umherhopsen – oder ob er sich in den
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