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Supernova

Supernova

Titel: Supernova Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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über die Sache reden
können; doch er hatte seinen Fehler noch dadurch verschlimmert,
dass er das Mädchen alarmiert hatte. Das Opfer hatte den
Spieß einfach umgedreht und ihn in der eigenen Luxuskabine
eingesperrt. Als Hoechst das herausfand, schäumte sie vor Wut.
Und selbst Franz, der wegen seiner Trauer immer noch wie betäubt
war, reagierte mit einem Anflug von Empörung.
    Hoechst holte Kerguelen persönlich von Noctis ab und ordnete
zu diesem Zweck einen Abstecher an, der die wartende, als Luxusyacht
getarnte DD-517 fast einen vollen Reisetag kostete. Als sie zur
Polizeiwache ging, wo der unglückselige Kerguelen festgehalten
wurde, trug sie ein Seidenkleid in blauvioletten Aquarelltönen
und eine blonde Perücke. Außerdem hatte sie ein
fürstliches Lösegeld in Form kostbarer Edelsteine dabei.
Mit ihrem albernen Kichern und dem sonstigen Gehabe verkörperte
sie perfekt die Rolle der zweiten Ehefrau eines reichen
Schiffsmagnaten aus Turku. Franz, Marx und Samow – sie steckten
in archaischen Uniformen und strahlten die genervte
Hochnäsigkeit persönlicher Gefolgsleute der Dame aus –
marschierten steifen Schrittes hinter ihr her. Diese Maskerade endete
etwa fünf Millisekunden, nachdem sie den aufgeregten, dankbaren
Kerguelen über die Schwelle ihrer Schiffsschleuse gezerrt und in
eine Schleusenkammer gebracht hatten. Sofort ging Hoechst ihm an die
Kehle.
    »Bastard«, zischte sie, während sie ihn so
würgte, dass die Sehnen an ihrem Handgelenk wie Stahlbänder
hervortraten. Bei den Übermenschen galt diese Bezeichnung als
tödliche Beleidigung, aber niemand interessierte sich für
Kerguelens Reaktion. Als sie ihm den Kehlkopf eindrückte und er
sich aufbäumte und gegen das Schott trat, hielten Marx und Samow
seine Arme fest. Gleich darauf rührte er sich nicht mehr.
Hoechst nahm ihre kleine Gruppe ins Visier und bedachte Franz mit
einem derart finsteren, böswilligen Blick, dass ihm ein Schauer
über den Rücken lief, weil ihm klar war, wie kurz der
Abstand zwischen diesen starken Händen und seinem eigenen Hals
war. Doch gleich darauf entspannte sie sich ein wenig und nickte ihm
zu. »Er hat mich bloßgestellt«, bemerkte sie
kühl. »Und, was noch schlimmer ist, dafür gesorgt,
dass auch die Mitglieder des Direktorats wie Idioten dastehen. Und
das gilt auch für Sie.«
    »Verstehe«, erwiderte er hölzern, was ihr
auszureichen schien.
    »Samow, sorgen Sie dafür, dass seine neurale Kartierung
geborgen wird; die Reste können Sie danach vernichten. Marx,
richten Sie der Pilotin von mir aus, dass es an der Zeit ist, Plan
Kojote durchzuführen. U. Bergman, Sie kommen mit mir.« Sie
drehte sich um und stolzierte auf den Fahrstuhl zu, der zu den
Mannschaftsdecks führte. Franz folgte ihr mit leerem Kopf.
Kerguelen, ein unbekümmerter junger Bursche, hatte drei Jahre
lang für ihn gearbeitet; es war dessen erster Einsatz
außerhalb des Systems gewesen. Er hatte gern einen
draufgemacht, war aber kein notorischer Schlamper gewesen. Und
offenbar hatte er aus ernsthaften ideologischen Überzeugungen
heraus gehandelt. Sein von keinem Zweifel getrübter Glaube an
die Sache, an den ungeborenen Gott und an die Bestimmung der
Übermenschen hatten Franz hin und wieder das Gefühl
gegeben, selbst ein Charakterschwein zu sein.
    Kerguelen hatte sein Leben so weit ausgekostet, wie es gerade noch
erlaubt war – hatte seine Aufträge so erledigt, als sei er
jemand aus der Frühzeit einer besseren Welt. Jetzt erleben zu
müssen, wie er aus dem Verkehr gezogen und vernichtet wurde,
konfrontierte Franz mit seiner eigenen Unzulänglichkeit. Deshalb
erhob er keine Einwände, sondern ließ sich von Hoechst ins
Schlepptau nehmen, folgte der raschelnden Seide, den teuren
Blumendüften und dem Geruch ätherischer Öle. Offenbar
benutzte sie auch altmodischen Körperpuder, der ihm schwach in
die Nase stach.
    Die Suite der Abteilungssekretärin war größer als
das Loch, das Franz als Koje nutzte, und umfasste zwei Stühle,
ein Rollpult und ein einzelnes Klappbett. Vielleicht war die Kabine
früher einmal das Quartier des Fregattenkapitäns gewesen,
als die Yacht noch als Kriegsschiff genutzt wurde. Hoechst schloss
die Tür und bedeutete ihm, Platz zu nehmen, blieb selbst aber
stehen und beschäftigte sich mit irgendeiner Sache auf ihrem
Schreibtisch. Er konnte die Augen nicht von ihr lassen. Sie war
schön; auf eine barbarische Weise, die nicht zum Direktorat
passte, sogar beängstigend schön, aber sie schüchterte
ihn auch ein.

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