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Supernova

Supernova

Titel: Supernova Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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geworden, hatten
eine barbarische Lebensart angenommen und die naive
Sentimentalität von Eingeborenen. Und so empfand er jetzt auch
den naiven Kummer und die Trauer eines Eingeborenen.
    »Sie sind zornig«, bemerkte Hoechst sanft. »Das ist
eine völlig verständliche menschliche Reaktion. Man hat
Ihnen gerade etwas genommen, das Sie zu besitzen glaubten. Ich nehme
es Ihnen nicht übel. Und falls Sie mich später anschreien
möchten, können Sie das gerne tun. Aber für den
Augenblick hat uns Blumlein höchstpersönlich einen sehr
wichtigen Auftrag gegeben, und wenn Sie mir dabei in die Quere
kommen, werde ich Sie vernichten müssen. Nehmen Sie’s nicht
persönlich. Und nur für den Fall, dass Sie’s noch
immer nicht begriffen haben: Ihre Freundin war eine subversive
Doppelagentin. Hat ihre Informationen direkt an U. Scotts Büro
für Interne Ermittlungen weitergegeben. War darauf programmiert,
Sie beim ersten Anzeichen mangelnder Loyalität Scott
gegenüber zu exekutieren.«
    Franz ertappte sich dabei, dass er nickte und unbewusst zustimmte;
doch die ganze Zeit über erinnerte er sich an den Duft von
Ericas Haut, an ihr Lachen, an ihre gemeinsamen heimlichen
Verstöße gegen die Dienstvorschriften – hier
draußen, weit weg vom Direktorat, wo Liebe keinen Kriegszustand
implizierte und Hass keine politische Strategie.
    Sie hätte mich nicht verraten, dachte er. Niemals. Denn sie hatte ihm alles über ihren zweiten Auftrag
erzählt, schon während des ersten leidenschaftlichen
Rendezvous, noch am selben Tag. Völlig ausgehungert nach einer
intimen Beziehung, hatten sie beide sich in ein Hotel verkrochen. Und
sie hatten ein schmutziges kleines Geheimnis geteilt, die heimliche
Sehnsucht, irgendwann durchzubrennen, zu desertieren, in das Licht
eines neuen Ereignishorizonts einzutauchen. Entweder wusste Hoechst
trotz ihrer Funktion als Todesengel weit weniger über die Zelle,
die sie jetzt übernahm, oder das Direktorat war ohnehin bis in
seinen Kern hinein korrumpiert und der ungeborene Gott Ausgeburt
einer kranken Phantasie.
    Aber solche Träume durfte man sich niemals erlauben, wenn man
mit anderen Übermenschen zu tun hatte. Nicht, wenn man
überleben wollte. Deshalb unterdrückte Franz das, was er
aus Trauer und Kummer am liebsten herausgebrüllt hätte, und
verstaute es in einer Schublade sehr tief in seinem Innern.
Später würde er sich damit befassen und die schwärende
Wunde lecken können. Er zwang sich zu einem energischen Nicken.
»Es wird mir bald wieder gut gehen«, sagte er
unterwürfig. »Es war nur der erste Schock.« Falls er
durchblicken ließ, wie eng ihre Beziehung gewesen war…
    »Das ist schön«, erwiderte Hoechst in beruhigendem
Ton. Franz’ Nasenflügel bebten zwar, aber seine Miene
verriet nichts. Wie ein Schatten des Todes schwebte Marx hinter die
Frau, die Hand lässig um klebriges Rückenmark
geschlossen.
    »Was erwarten Sie jetzt von mir?«, fragte Franz mit
heiserer Stimme.
    »Dass Sie sich ausruhen und erholen. Sobald wir die Reste
Ihrer Zelle eingesammelt haben, machen wir eine Reise.«
    »Eine Reise…«
    »Nach Neu-Dresden, mit einer Yacht.« Sie zog eine
Grimasse. »Das ist schon ’ne Yacht: eine alte Fregatte der
Heidegger-Klasse, aus der die Waffensysteme herausgerissen und durch
Laderäume und Schlafkojen ersetzt wurden. Wir haben etwa acht
Tage, um noch vor Ihrer Ausreißerin einzutreffen, die erster
Klasse auf einem Linienschiff reist. Wenn wir dort ankommen, werden
wir die Lage bereinigen, alle losen Enden verknüpfen und die
Lawine aufhalten, die U. Vannevar Scott in Gang gesetzt hat,
kapiert?«
    »Ich…« Als er seine Hand krümmte, fuhr ihm ein
derart stechender Schmerz ins Handgelenk, dass er nach Luft
schnappte. »Ich glaube, ich habe mich verletzt.«
    »Das ist schon in Ordnung.« Sie lächelte ihn
freundschaftlich an. »Sie werden sich noch an vielen anderen
Stellen verletzen, bis das hier vorbei ist.«

 
    Es dauerte eine ganze Woche, bis Portia dazu kam, ihn zu
vergewaltigen. Franz erlebte diese Zeit größtenteils wie
durch einen Nebel, denn er arbeitete wie ein Automat. Er war viel zu
sehr damit beschäftigt, die ihm verbliebenen Agenten
zusammenzutrommeln, um die kühlen, forschenden Blicke zu
bemerken, die sie in seine Richtung ausschickte.
    Es geschah, nachdem sich Hoechst mit Kerguelen befasst hatte. Dass
er sein Ziel verfehlt hatte, wäre vielleicht entschuldbar
gewesen, hätte er nicht sowieso schon auf der Grauen Liste
gestanden. Trotzdem hätte man

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