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Supernova

Supernova

Titel: Supernova Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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G; gehen Sie dort zu
Treffpunkt 2, um sie abzuholen.«
    Morris Strowger stand auf und sah seine Frau mit einem
Lächeln an: »Ich hab dir ja gesagt, sie würden sie
finden.« Nach und nach schwand das Lächeln aus seinem
Gesicht.
    Indica Strowger blickte nicht auf. Sie hatte die knochigen Finger
zwischen den Knien verschränkt und hielt den Kopf gesenkt. Ihre
Schultern bebten so, als hätte sie einen Stromstoß
erlitten. »Geh nur«, sagte sie kaum hörbar mit harter,
beherrschter Stimme. »Ich komme schon zurecht.«
    »Wenn du wirklich meinst…« Die Polizeidrohne flog
bereits voraus. Unsicher warf Morris einen letzten Blick auf die
zusammengekauerte Gestalt, dann folgte er dem künstlichen Insekt
durch überfüllte, streng nach Menschen riechende
Gänge, die bereits zu einem Hightech-Slum verkamen. Die
Polizeidrohnen, die hier Streife flogen, waren mit
Betäubungsgeschossen ausgerüstet.
    Etwas an diesem Aufbruch von der Raumstation – vielleicht die
endgültige, bittere Gewissheit, dass ihnen jetzt wirklich alles
genommen wurde, was sie einst besessen hatten – hatte das
straffe Band gelöst, das sie alle während der dunklen Jahre
bis zum heutigen Tag zusammengehalten hatte. Jetzt wich die stets
spürbare Grundstimmung der Depression einem heimtückischen
Anflug von Verzweiflung, Hysterie und Unsicherheit, was die Zukunft
betraf. Es waren gefährliche Zeiten.
    Genau wie die Drohne gesagt hatte, wartete Wednesday am
Treffpunkt. Sie wirkte so verlassen und ängstlich, dass sich
Morris, der sich eigentlich eine Strafpredigt zurechtgelegt hatte,
plötzlich dabei ertappte, dass es ihm die Sprache verschlug.
»Vicki…«
    »Dad!« Am ganzen Leib zitternd, barg Wednesday ihr Kinn
an seiner Schulter. Ihm fiel auf, wie scharf ausgeprägt ihre
Kieferknochen waren, fast wie bei einem jungen Raubtier.
    »Wo hast du gesteckt? Deine Mutter ist vor Sorge regelrecht
ausgerastet.« Was noch untertrieben war. Während er sie
fest umarmte, spürte er, wie das schreckliche Gefühl
dumpfen Unbehagens nach und nach wich. Seine Tochter war wieder da.
Zwar hatte er eine teuflische Wut auf sie – aber er war auch
unsäglich erleichtert.
    »Ich wollte allein sein«, erwiderte sie fast tonlos mit
erstickter Stimme. Er versuchte einen Schritt zurückzutreten,
aber sie gab ihn nicht frei. Das versetzte ihm einen Stich ins Herz:
So verhielt sie sich immer, wenn sie ihm etwas vorenthalten wollte.
Sie konnte nicht gut heucheln, behielt aber jede Menge für
sich.
    Hinter ihm nervte eine alte Frau den Wachtmeister: Sie machte ein
Riesentheater, weil ihr offenbar ein Junge abhanden gekommen war.
Nein, kein Junge, sondern ein Schoßhündchen, das sie
»Sohn« oder »Söhnchen« nannte.
    »Ich hab Zeit zum Nachdenken gebraucht«, sagte
Wednesday. Glasklar erkannte er in diesem Augenblick, dass sie ihn
anlog, aber er hatte nicht das Herz, sie jetzt damit zu
konfrontieren. Dazu war auch später noch Zeit; außerdem
würde er ihr von dem offiziellen Verweis erzählen
müssen: Das unbefugte Betreten von Diensträumen an Bord
eines Schiffes war keine Kleinigkeit und nicht damit zu vergleichen,
verlassene Sektoren einer Raumstation zu erkunden, wie es Wednesday
immer gern getan hatte. Ihr war gar nicht bewusst, wie glücklich
sie sich schätzen konnte, dass der Kapitän Verständnis
gezeigt hatte. In der jetzigen Situation machte man den entnervten
Erwachsenen außerordentliche Zugeständnisse. Und erst
recht den Kindern, die jetzt zum ersten Mal in ihrem bewussten Leben
ihr Zuhause verließen.
    »Komm schon.« Er zog sie vom Schreibtisch des
Wachtmeisters weg und rieb ihre Schultern. »Komm, wir gehen
zurück zu unserer… äh… Kabine. Das Schiff legt
bald ab. Sie übertragen’s von der Brücke aus. Das
willst du doch nicht verpassen, oder?«
    Mit unergründlicher, ernster Miene sah sie zu ihm auf.
»Nein, natürlich nicht.«

 
    Einschlag: T plus 4 Stunden, 6 Minuten
     
    246 Minuten nach der Katastrophe erstarrte der Frachter Taxis
Pride, 46 Grad oberhalb der Ebene der Ekliptik und sechs
Lichtstunden von seinem letzten Bestimmungshafen entfernt, im leeren
Raum. Brad Mornington, der Kapitän, befand sich gerade im
Cockpit und plauderte mit Mary Haight, die für die Relativistik
zuständig war. Taxis Pride war eine Raumfähre, die
drei Punkte anlief: Sie verband Moskau mit der Raumstation Island
7 und flog von dort aus einen Außenposten des
Septagon-Systems bei Blaylock B an, einen Umschlagplatz für
Frachtgüter. In den letzten sieben Jahren

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