Supernova
hinterließ.
»Sie sind hier nicht wegen irgendeiner Sache angeklagt«, sagte die Vorsitzende des selbst ernannten
Tribunals und erwiderte ihr Lächeln. »Sie haben ja nicht
gegen irgendwelche Bestimmungen verstoßen, nicht wahr?«
Der Mann neben ihr räusperte sich angelegentlich. »Nun ja,
jedenfalls nicht gegen eine unserer Bestimmungen«,
fügte sie hinzu und verzog kaum merklich, aber abfällig
ihre grell geschminkten Lippen. Rachel konzentrierte den Blick auf
den Haaransatz ihres Gegenübers. Madame Vorsitzende favorisierte
in ihrer Kleidung einen übertrieben weiblichen, historischen
Stil – vielleicht wollte sie ihrem Sado-Maso-Führungsstil
durch Samt und Spitzen das gewisse Etwas verleihen; allerdings hatte
sich ein Löckchen aus der festen Klebemasse ihres Haars
gelöst (welche chemische Keule sie auch zu dessen Bändigung
verwenden mochte) und drohte sich über die mit dem Rasierer in
Form gebrachten Augenbrauen zu legen, was den Eindruck von Perfektion
leicht beeinträchtigte.
»Der Ausflug zu Rochards Welt war nicht meine Idee, wie ich
in meinem Bericht deutlich gemacht habe«, wiederholte Rachel
gelassen, obwohl sie ihre Hand gern über den Tisch gestreckt und
an der Frisur der Vorsitzenden gezupft hätte. Verdammt noch
mal, ich würde gern mal erleben, wie du mit einem
schlimmen Einsatz vor Ort klar kommst. »Die Regierung der
Neuen Republik hat George Cho schwer auf Trab gehalten, denn die
Dummköpfe hatten ja schon vor meiner Ankunft beschlossen, gegen
das Dritte Gebot zu verstoßen. Wäre ich nicht dort
gewesen, hätten wir niemanden vor Ort gehabt, als die
Lage brenzlig wurde. Also hat George mich geschickt. Ich habe, glaube
ich, bereits erklärt, dass Sie nicht befugt sind, den
vollständigen Bericht zu lesen. Aber darum geht es hier auch gar
nicht, wie?«
Sie lehnte sich zurück, nahm einen Schluck Wasser und
musterte ihre wichtigste Gegenspielerin aus halb geschlossenen Augen.
Madame Vorsitzende, die ehrenwerte Sesselfurzerin – offenbar
erfreute sie sich des schönen Namens Gilda Soundso – nutzte
die Pause dazu, sich zur Seite zu beugen, um ihrem liebsten
Speichellecker etwas ins Ohr zu flüstern. Rachel stellte ihr
Glas ab und schenkte Madame, die eine typische Erbsenzählerin
war und einen Klüngel grauer Jasager um sich geschart hatte, ein
angespanntes Lächeln. Bewaffnet mit einer Vorladung und einer
ellenlangen Liste von Fragen, die sich vor allem auf Rachels letzten
Einsatz außerhalb des irdischen Lichtkegels bezogen, hatte sie
sich am Vortag aus heiterem Himmel auf Rachel gestürzt. Von
Anfang an war klar gewesen, dass sie nicht die geringste Ahnung
hatte, welche Aufgaben Rachel im Diplomatischen Dienst erfüllte,
und es ihr auch gleichgültig war. Ärger bereitete ihr nur,
dass Rachel im Haushaltsplan als im Unterhaltungssektor
beschäftigte Beamtin beziehungsweise Kulturattaché
aufgeführt war – ein Euphemismus zur Beruhigung der
Handelsabteilung –, denn das war ihr ureigenes Gebiet. Die
Tatsache, dass Rachels Name dort nur als Tarnung für einen ganz
anderen Job auftauchte, bedeutete ihr eindeutig nicht das
Geringste.
Rachel fixierte Madame Vorsitzende mit ihrem besten Pokergesicht.
»Sie möchten zu Tage fördern, wer George dazu
autorisierte, mich zu Rochards Welt zu schicken, und wer die Kosten
dafür genehmigte. Um es mit einem Satz auszudrücken: Das
liegt außerhalb Ihrer Zuständigkeit. Wenn Sie meinen, es
unbedingt in Erfahrung bringen zu müssen, wenden Sie sich an die
Sicherheitsabteilung.«
Sie lächelte verkniffen. Chos Gesandtschaft in der Neuen
Republik war sie auf der Grundlage dessen zugeteilt worden, dass die
Abteilung Kultur ihr Gehalt übernahm; in Wirklichkeit hatte sie
dort jedoch einen Geheimauftrag erfüllen sollen. Sie war dem
Geheimdienst unterstellt. Und sobald Madame Vorsitzende versuchen
sollte, die Angelegenheit dort weiterzuverfolgen, würde sie
gegen eine Wand rennen. Allerdings musste der Geheimdienst Rachels
Tarnung aufrechterhalten. Bei Rechnungsprüfungen verfolgten die
Vereinten Nationen eine Politik öffentlicher Anhörungen, um
den Aktionären das sichere Gefühl zu geben, dass ihre
Gelder auch rechtmäßig verwendet wurden. Folglich musste
Rachel die ganze Prozedur mitmachen. Bis dahin, dass man sie wegen
Veruntreuung von Geldern feuern konnte, falls irgendein
bürokratischer Schleimer und Aufsteiger zu dem Schluss kam, es
könne seiner Karriere nützen, ihr einen Dolchstoß zu
versetzen. Dies war nur eines von vielen Risiken, die
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