Supernova
Madame ein wildes Geheul aus. »Sie
kümmern sich am besten nur um Ihren Schreibtisch«, bemerkte
Rachel kalt. Sie konnte dem Drang, es der Vorsitzenden zu geben,
einfach nicht widerstehen. »Die Erwachsenen haben wichtige
Arbeit zu erledigen.«
Als sie den Hauptausgang erreichte, hatte sie das Zittern
einigermaßen unter Kontrolle. Wie dumm, wie dumm von mir!, schimpfte sie mit sich selbst. Dass sie vor der Vorsitzenden
derart ausgerastet war, konnte die Sache nur verschlimmern. Und bei
der Aufgabe, die vor ihr lag, brauchte sie unbedingt einen
kühlen Kopf. Ein Polizeitransporter, in den Schatten einer
riesigen Bismarck-Statue geduckt, erwartete sie auf dem schön
angelegten Platz vor dem Kuppelgebäude der Vereinten
Nationen.
»Der Tatverdächtige ist ein arbeitsloser Künstler
und Einsiedler, der angeblich Idi Amin Dadaist heißt«,
teilte ihr der Polizist der Nachrichtenzentrale über ihr
implantiertes Telefon mit. Gleichzeitig übermittelte er ihr
mehrere Bilder, die sie im Inneren ihres linken Augenlids empfing.
»Kein Vorstrafenregister, bis auf kleinere Ordnungsstrafen wegen
nicht genehmigter öffentlicher Kunst-Happenings, bei denen er
die Ruhe und Ordnung gestört und die Straßen verunreinigt
hat. Außerdem steht noch eine Klage der Volksrepublik
Mittelschottland an, weil er Anspruch auf den Titel Letzter
König von Schottland erhoben hat. Er ist…«
Die nächsten Worte gingen im Schrillen von Alarmsirenen
unter. Irgendjemand in der geschäftigen UN-Zentrale hatte
mitbekommen, was ein paar Straßen weiter vor sich ging.
»In den letzten drei Jahren hab ich nicht einmal einen
Auffrischungskurs für derartige Einsätze gemacht!«,
rief Rachel in die hohle Hand, während sie auf den Transporter
zurannte. Sobald sie eingestiegen war, preschte er davon, nur Meter
vor der Menschenflut, die aus dem UN-Gebäude strömte, um
die nächsten Schutzbunker aufzusuchen. »Haben Sie denn
niemanden, der auf dem Laufenden ist?«
»Sie waren früher eine Vollzeitbeschäftigte des
SXB, deshalb sind Sie bei uns immer noch als Reserve für den
Notfall aufgeführt«, erwiderte der Mann in der
Polizeizentrale. Der besorgt wirkende Polizist auf dem Fahrersitz sah
sich nach ihr um und überließ die Lenkung dem Autopiloten.
»Die gesamte reguläre Polizeitruppe befindet sich, wie
gesagt, auf dem suborbitalen Rückflug von Brasilien.
Normalerweise geht es in unserer Stadt friedlich zu. Das hier ist
seit fast zwanzig Jahren die erste Bombendrohung. Sie sind die
einzige Spezialistin – ob im Dienst oder Reservistin –, die
heute in der Stadt für uns greifbar ist.«
»Mein Gott, natürlich muss es unbedingt passieren, wenn
alle unterwegs sind. Was können Sie mir über den Schauplatz
sagen?«
»Der Täter hat sich in einem Obdachlosenasyl in
Saint-Leger verschanzt. Behauptet, er habe eine Bombe gebastelt und
werde sie in einer Stunde minus acht Minuten zünden, falls wir
nicht auf seine Forderungen eingehen. Wir wissen zwar nicht, welcher
Typ Bombe das ist und was er genau will, aber das spielt eigentlich
auch keine Rolle. Selbst eine Rohrbombe, die mit Kobalt 60 geladen
ist, würde in der Umgebung einen Riesenschlamassel
anrichten.«
»Stimmt.« Rachel schüttelte den Kopf.
»Entschuldigen Sie, aber ich komme gerade aus einer Besprechung
mit lauter Sesselfurzern und versuche, einen klaren Kopf zu bekommen.
– Wollen Sie damit sagen, dass ich direkt zu ihm rein
muss?«
»Er hat sich in einem schäbigen Wohnblock verschanzt und
hält sich da drinnen auf, mit gutem Abstand zu Fenstern,
Luftschächten oder Türen. Unsere Bodenüberwachung
sagt, dass er sich im Wohnzimmer befindet und etwas dabei hat, das
der Dichte nach eine Bombe sein könnte. Die Unterkunft ist
für uns nicht einsehbar, allerdings haben wir uns damit
vergnügt, die Sequenzen der allgemeinen Überwachung aus dem
letzten Monat abzunudeln. Anscheinend hat er als ersten Schritt
Störsender installiert, denn die Spur, die die
Funküberwachung aufgezeichnet hat, ist viel zu sauber. Jemand
muss da reingehen und ihn durch Reden von seinem Vorhaben abbringen
oder ihn rausholen. Und Sie haben mit solchen Dingen mehr Erfahrung
als irgendeiner von uns. Nach meinen Unterlagen haben Sie mehr als
zwanzig solcher Einsätze durchgeführt, insofern kommen Sie
unserer Meinung nach dem, was man eine Expertin nennen könnte,
noch am nächsten.«
»Dem Herrgott sei’s geklagt. Welche Hausverwaltung
beziehungsweise welche Versicherungsgesellschaft ist für den
Wohnblock
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