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Supernova

Supernova

Titel: Supernova Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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so kalt wie in einer
Tiefkühltruhe. Im Laufe der Zeit hatte sich eine dünne
Staubschicht über die Terminals und die Mappen mit den
Betriebsanleitungen gelegt. Während sich der Ring aus Rauch
immer weiter ausgebreitet hatte, herumgewirbelt und auf das Fenster
zugetrieben war, war Jahr um Jahr vergangen. Und dann waren die
Menschen zurückgekehrt. Zuerst zwei Soldaten, denen die
überwältigende Leere da draußen die Sprache
verschlug, sodass sie sich hier drinnen nur leise bewegt hatten. Auf
leisen Sohlen war auch der Tod hierher gekommen: schnell und
erbarmungslos.
    Während sie ausgestreckt im Luftschacht oberhalb dieses
Raumes lag und durch den Ventilationsrost spähte, tastete
Wednesday ihre dritte und letzte Kartusche ab. Sie war anders als die
beiden Schaum versprühenden Nebelwerfer, und das machte ihr
Kopfzerbrechen. Dort unten hielt sich irgendjemand auf, der ihr
irgendwie bekannt vorkam, allerdings war das durch den Rost nur
schwer auszumachen…
    Verdammte Ungeheuer! Familienmörder. Sie erinnerte
sich an Jerm, wie er sich über sie lustig gemacht hatte. An Dad,
der sorgenvoll geblickt hatte, wie so oft. An die strenge und leicht
wirklichkeitsfremde Indica, ihre distanzierte Mutter, die so leicht
aus der Fassung zu bringen gewesen war. Liebe und Zorn. Kummer und
ein Gefühl des Verlustes. Sie blickte durch den Rost, sah die
Frau, die ihr den Rücken zuwandte, in dem ihr näher
gelegenen Hufeisen sitzen. Sie sind Übermenschen. Sie
hatte von Frank genügend über sie gehört, um zu
wissen, was das für Leute waren. Portia und ihr spöttisches
Grinsen. Vor Hass knirschte Wednesday mit den Zähnen,
während ihr heiße Tränen der Wut in den Augenwinkeln
brannten. Oh, ihr werdet das noch bedauern!
    Sie riskierte es, ihre Ringe kurz so aufstrahlen zu lassen, dass
das Licht auf das eingekerbte Gehäuse der Kartusche fiel. Sie
hatte einen Aktivierungsschalter mit Wählscheibe, auf der Zahlen
standen, und im Unterschied zu den anderen Kartuschen keine halb
offene Seite. Ist es ein Explosivkörper?, fragte sie
sich. Angesichts der Situation schien ihr das eher unwahrscheinlich
– auf einer Raumstation wäre es verrückt gewesen,
Granaten einzusetzen –, aber auszuschließen war es nicht.
Also programmierte sie ihre Jacke so, dass sie schrumpfte und hauteng
saß, verband sie nahtlos mit den Leggings, die sie unter der
Hose trug, und zog die Kapuze übers Gesicht. E-Mail: Hermann,
was, zum Teufel, ist das für ein Ding? Füge Abbildung bei.
Senden. Ihre Finger zitterten vor Kälte. Komm schon,
antworte…
    BING. Es ist eine Handgranate des Typs 20 mit
Aufschlagzünder. Betäubungsradius: fünf Meter.
Tödlicher Radius: zwei Meter. Elektromagnetischer Impuls
minimiert, Materialablation maximiert. Anlage: Bedienungsanleitung.
Was hast du damit vor?
    E-Mail: Hermann, ich werde die für Mom, Dad und Jerm
bezahlen lassen. Senden.
    Als die Frau zu ihr aufsah, erstarrte Wednesday. »Sie kommen
besser sofort herunter«, rief Steffi zu ihr hinauf. Das schwarze
Loch der Gewehrmündung war direkt auf Wednesdays Gesicht
gerichtet. »Machen Sie keinen Unsinn.«
    »Mist«, murmelte Wednesday leise. »Sind Sie das,
Steffi?«, fragte sie lauter.
    »Ja, verdammt noch mal. Hallo, Wunderkind.« Die
Gewehrmündung rückte keinen Zoll weg. »Ich sagte,
kommen Sie sofort herunter. Das ist ein Befehl.«
    »Komme ja schon.« Irgendetwas gab ihr das Gefühl,
dass die Handgranate ihr nicht viel nützen würde. Wednesday
hob die Beine an und stieß zweimal hart zu, bis der Rost sich
löste. Mit den Füßen voran ließ sie sich durch
die Öffnung hinab und sprang schließlich hinunter. In
dieser Umgebung, in der nur geringe Schwerkraft herrschte, schien es
ewig zu dauern, bis sie den Boden erreichte. »Was hätten
Sie getan, wenn ich nicht gekommen wäre? Wollten Sie mich
erschießen?«
    »Ja«, erwiderte Steffi. Ihre Augen lagen tief in den
Höhlen; sie sah so aus, als hätte sie seit Tagen nicht
geschlafen. Und ihre Stimme klang seltsam flach und emotionslos.
    Unangenehm berührt, zuckte Wednesday die Achseln und streckte
die Hände vor. »Sehen Sie mal«, sagte sie, »ich
habe einen der Schlüssel mitgebracht.«
    »Einen Schlüssel.« Steffi winkte sie zu dem freien
Stuhl herüber. »Wie praktisch«, murmelte sie.
»Wissen Sie, in welches Schloss er passt?«
    »Ja.« Wednesday grinste böse. »Es ist ein
Schlüssel zum Kommunikationsnetz der Moskauer Abwehr.«
    BING. Mail von Hermann: Wednesday, es besteht Gefahr, hör
auf Rachel.
    Ha.

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