Supernova
Versammelten.
»Im Prinzip sind wir mit unseren Überlegungen genau bis
zu diesem Punkt gekommen«, sagte George mit schwerer Stimme.
»Es fehlt nur noch der letzte Teil.«
»Schießen Sie los.« Rachel beugte sich gespannt
vor.
»Wir haben nicht die Zeit, sie alle als Lockvögel
einzusetzen. Beim gegenwärtigen Schwund müssen wir mit der
Gefahr rechnen, nächsten Monat vier weitere Botschafter zu
verlieren. Bisher haben wir nicht einen einzigen Mörder fassen
können, also wissen wir auch nicht, wer so etwas tut. Und jetzt
sagen Sie mir, welche Schlussfolgerungen Sie daraus ziehen.«
»Dass wir in der Scheiße sitzen«, erwiderte Rachel
dumpf. Angespannt beugte sie sich vor. »Lassen Sie uns das hier
kurz als laufende Ermittlung in einem Mordfall betrachten. Abgesehen
von Mitteln und Gelegenheiten, wer hat ein Motiv? Wer könnte
irgendeinen Gewinn daraus ziehen, wenn Moskau in
fünfunddreißig Jahren Dresden bombardiert und in Schutt
und Asche legt?«
Sie streckte eine Hand hoch und begann, die Möglichkeiten an
den Fingern abzuzählen. »Erstens: eine dritte Partei, die
Dresden hasst. Ich denke, das können wir als unsinnig betrachten
und ausschließen. Niemand kann so verrückt sein, deswegen
einen ganzen Planeten auslöschen zu wollen. Zumindest bekommt
niemand, der so verrückt ist, je die Mittel dazu in die
Hand.« Nun ja, praktisch niemand, korrigierte sie sich,
als ihr blitzartig die Ereignisse vor einer Woche in Genf einfielen. Idi hätte es getan – wenn er über eine R-Bombe
verfügt hätte. Aber er hatte keine. Und
deshalb…
»Zweitens: eine Fraktion innerhalb der Moskauer
Exilbevölkerung, die Dresden wirklich hasst. So sehr hasst, dass
sie bereit ist, Morde dafür zu begehen, selbst Morde an den
eigenen Leuten, einfach um die Sache niet- und nagelfest zu machen.
Drittens: jemand, der sich irgendeine Art von Verhandlungsvorteil
davon erhofft. Beispielsweise könnte es Erpressung sein, nur,
dass die Forderungen bislang nicht genannt worden sind. Viertens:
jemand, der einen ganzen Kontinent zerstören will. Vielleicht
hat eine wirklich grässliche Gruppe von sendungsbewussten Leuten
beschlossen, erst sicherzustellen, dass dieser Schlag trifft, und
dann eine, äh, Rettungs- und Wiederaufbauaktion zu starten, die
ihnen auf Dauer Macht verleiht.«
»Sie behaupten also, es könnte eine andere Regierung
dahinterstecken, die Vorteile aus der Situation ziehen will?«,
fragte Gail völlig entgeistert.
»Das nennt man Realpolitik.« Rachel zuckte die
Achseln. »Ich behaupte ja nicht, dass es sich wirklich so
verhält, aber… gibt es irgendwelche Kandidaten?« Sie
zog eine Augenbraue hoch und sah Tranh an.
»Möglich.« Er runzelte die Stirn. »Unter den
Nachbarn… Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Neue Republik
so etwas tut, Sie etwa?«
Rachel schüttelte den Kopf. »Die sind in diesem Fall aus
dem Rennen.«
»Dann, hm, vergessen wir Turku, vergessen wir Malacia,
vergessen wir Septagon. Keine dieser Regierungen hat
expansionistische Bestrebungen, es sei denn Septagon. Und Septagon
hat kein Interesse an irgendwelchen Himmelskörpern, deren
Hauptplanet mehr als ein halbes Prozent der Masse von Sol besitzt
oder unbewohnbare Planeten im Schlepptau hat. Da ist noch Newpeace,
aber dort herrscht nach dem Bürgerkrieg immer noch Chaos. Und es
spricht auch wenig für Eiger. Tonto gehört zu diesen
verrückten, halb abgeschotteten Diktaturen. Könnte
Interesse an so was haben. Aber es liegt nicht gerade auf der Hand,
oder?«
Rachel runzelte die Stirn. »Offenbar gibt es in diesem Sektor einige Diktaturen, stimmt’s? Das ist schon seltsam:
Normalerweise sind Diktaturen ja nicht stabil genug, um zu
überdauern…«
»Es gibt da Anhänger irgendeiner bizarren politischen
Ideologie, die sich selbst die Übermenschen nennen. Tonto
hat diese Ideologie vor vierzig oder fünfzig Jahren offiziell
übernommen«, gab Jane zu bedenken. »Ich weiß
nicht viel darüber, aber es sind keine netten Menschen.«
Ihr lief ein Schauer über den Rücken. »Wie kommen Sie
jetzt darauf?«
Rachels Stirnfalten vertieften sich. »Falls Sie Näheres
dazu ausgraben können, würde ich es gern erfahren. George,
Sie halten mit irgendetwas hinterm Berg, stimmt’s?«
Der Botschafter setzte sich leicht auf und nickte. »Ja,
stimmt.« Er warf einen Blick auf die Tischrunde.
»Vermutlich wissen Sie inzwischen, warum ich gerade Sie
dabeihaben wollte. Der Grund besteht darin, dass keiner von Ihnen,
soweit wir wissen, irgendeine
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