Supervision - Grundlagen, Techniken, Perspektiven
wiederholen (âspiegelnâ).
Beispiele: Suchtberater erleben oft die Suchtprobleme ihrer Klienten wie einen Sog, der ihnen die âinnere Substanzâ nimmt. Es kommt immer wieder vor, dass die Helfer nach den Beratungsstunden besonders viel Zigaretten, Kaffee oder SüÃigkeiten zu sich nehmen
.
Lehrer verhalten sich in Weiterbildungsprozessen oft wie Schüler. Sie melden sich, fragen nach den Pausen und erkundigen sich danach, was man von ihnen erwartet, ob ihre Leistungen bewertet werden
.
Diese Spiegelphänomene verhelfen zum Verständnis der âFallarbeitâ. Sie geben Hinweise über Interaktionsformen und Organisationskultur der Ursprungsszene. Sie sind darüber hinaus ein wichtiger Beitrag des Balint-Konzepts für Sozialarbeit, Psychotherapie, Pädagogik und natürlich Supervision.
Die Supervisionsforschung hat inzwischen eine Fülle
feldspezifischer Spiegelphänomene
beschrieben. Es handelt sich dann um Gefühle und Fantasien bei den Beraterinnen, welche durch die jeweilige Problematik und Dynamik der Klientinnen hervorgerufen werden. Dabei kann es sich beispielsweise um den durch den Klienten ausgelösten Wunsch handeln, zu helfen,zu versorgen, zu schützen, zu strafen oder nichts mehr davon hören zu wollen. So ist bei der Supervision psychiatrischer Arbeit das âMilchglasgefühlâ im Sinne einer Uneinfühlbarkeit und Unerreichbarkeit des Klienten bekannt. Demgegenüber tritt bei der Supervision von Suchtarbeit häufig die eigene Unzulänglichkeit, das eigene Gefühl, den Ansprüchen der Klienten nie genügen zu können, als Selbst- und Fremdentwertung in den Vordergrund.
Aus dem bisher Gesagten wird deutlich, dass die Balint-Arbeit natürlich keine Psychotherapie ist. Sie ist auch nur teilweise Supervision, weil sie für die Behandlung von Team- und Organisationsfragen weniger geeignet scheint. Denn im Ursprungskonzept der Balint-Arbeit fehlte die Anwendung von gruppendynamischen und organisationswissenschaftlichen Erkenntnissen zur Reflexion von Berufsarbeit. Die Balint-Gruppe ist vielmehr eine berufsbezogene Beziehungsanalyse auf psychoanalytischer Grundlage. Sie ist ein wichtiger Schritt zur Theorie und Methodik heutiger interdisziplinärer Supervision.
Was unterscheidet die klassische Balint-Gruppe von der Supervision? Wenn man mit Arbeitsgruppen oder Teams diese Methode anwenden will, muss über den ursprünglichen Ansatz von Balint hinausgegangen werden. Auch der für die Balint-Arbeit notwendige âMut zur Dummheitâ (Balint), also ohne langes Nachdenken âFälleâ einzubringen oder sich dazu spontan zu äuÃern, wird in Teams weniger intensiv möglich sein als in einer Balint-Gruppe, in welcher man keine privaten und beruflichen Beziehungen miteinander hat (
stranger group
). Denn im Team kennt man sich eventuell schon seit Jahren, und oft sind dort rivalisierende und/oder familienähnliche Beziehungen entstanden. Deshalb spricht man auch vom Team als
family group
. Weiterhin kann die im Balint-Ansatz gewollte Vereinfachung der Beziehungen zwischen Helfer und Klient natürlich nicht direkt auf komplexe Gebilde wie Teams und Institutionen übertragen werden. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass in den letzten Jahren in vielen Balint-Gruppen auch gruppendynamische und organisationswissenschaftliche Erfahrungen reflektiert werden.
6. Pädagogik und Supervision
Auch in der Pädagogik hat man sich seit dem 19. Jahrhundert Gedanken zur Verbesserung des beruflichen Handelns gemacht. Abgesehen von den bis in die Gegenwart hineinreichenden und sich immer in Entwicklung befindlichen didaktischen Entwürfen zur Optimierung von Unterricht kam es jedoch erst seit den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts auch unter dem Einfluss der Psychoanalyse zu einer tiefenpsychologischen Reflexion der Beziehung zwischen Lehrer und Schüler.
Im Vorwort zu
August Aichhorns
(1878â1949) âVerwahrloste Jugendâ (1974, S. 7) schrieb Sigmund Freud den bekannten Satz von den drei âunmöglichen Berufenâ, nämlich âanalysierenâ, âerziehenâ und âregierenâ. Mit dem Wort âunmöglichâ meinte Freud keinesfalls eine Abwertung dieser Berufe. Sondern er glaubte, dass die Anforderungen an diese Berufe zu hoch seien und man deshalb den Erwartungen âunmöglichâ gerecht werden könne. Erziehen, Heilen und
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