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Supervision - Grundlagen, Techniken, Perspektiven

Supervision - Grundlagen, Techniken, Perspektiven

Titel: Supervision - Grundlagen, Techniken, Perspektiven Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Regieren gehören wie eine Vielzahl neuer Tätigkeiten in den Bereich der pädagogischen und sozialen Dienstleistungen. Was machen die besonderen beziehungsmäßigen Schwierigkeiten in der Schule aus? Die Institution Schule fördert durch die zeitweilige Trennung von der Erwachsenenwelt regressives Verhalten, also die gefühlsmäßige Rückkehr in Welten der Kindheit. So spricht man auch von einer „Deformation der Lehrer“ oder dem „Infantilen“ des Lehrers (Adorno 1969). Denn die Tätigkeit des Lehrers ist vorwiegend die Arbeit eines einsamen Erwachsenen vor vielen fremden Kindern – oder alleine zu Hause. Zur psychologischen Deformation kommt die soziale Isolation hinzu. Lehrer sind als Einzelkämpfer ausgebildet. Sie stehen einer allmächtigen Didaktik und den unerfüllbaren Ansprüchen von Schülern, Kollegen, Eltern, der Schulbürokratie sowie der Öffentlichkeit gegenüber.
    Im gleichen Jahre schrieb ein anderer Schüler Freuds,
Siegfried Bernfeld
(1892–1953), in seinem Buch „Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung“, dass der Lehrer stets vor zweiKindern stehe: vor dem ihm anvertrauten fremden Kind sowie dem Kind in ihm selber. Wenn Erwachsene und speziell Eltern über ihre Schulzeit sprechen, geht es meistens um Erinnerungen, die aufgrund ihrer positiven oder negativen emotionalen Bedeutung im Gedächtnis haften geblieben sind. Aber auch die Lehrer sind in ihren Gefühlen und Verhaltensweisen von ihrer eigenen Kindheit und Schulzeit geprägt. Schon aufgrund der isolierten beruflichen Rolle befinden sich Lehrer oft in der Gefahr, dass sie ihre eigenen Kindheits- und Schulerfahrungen auf ihre Schüler
übertragen
. „Er kann gar nicht anders, als jenes zu behandeln, wie er dieses erlebte“, schrieb Bernfeld im Jahre 1925 (1970, S. 141). Der Lehrer wiederholt im Umgang mit den Kindern oft auch dann Teile aus seiner Vergangenheit, wenn er scheinbar das Gegenteil von dem tut, was seine Eltern taten oder wollten. Erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese Gedanken dann für die Schulpädagogik fortgesetzt:
    â€žUnbewusst erwartet der Lehrer wie der Vater, dass die Kinder sich ihm gegenüber genauso (oder entgegengesetzt) verhalten, wie er sich als Kind zu seinen Eltern verhalten hat, und unbewusst ist er selbst in seinem Verhalten als Erwachsener gegenüber Kindern von seinem Vater- und Mutterbild beeinflusst, wie er es in seiner Kindheit aus der Kinderperspektive entwickelt und seitdem latent beibehalten hat“ (Fürstenau 1979, S. 189). Wenn Lehrer nicht die Möglichkeit haben, über ihre Schulerfahrungen und Motive zum Studium zu reflektieren, besteht die Gefahr, dass sie zu stark von diesen unbewussten Bindungen beeinflusst werden. In Fortsetzung dieser Gedanken hat dann
Horst Brück
(1940–1997) im Jahre 1978 in einer viel beachteten biographisch angelegten Untersuchung von Lehrerstudenten „Die Angst des Lehrers vor seinem Schüler“ beschrieben und eine spezielle Supervision für Lehrer und Pädagogikstudenten entwickelt. Brück war seit den Siebzigerjahren im deutschen Sprachraum mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten auch an der Erprobung und Dokumentation spezieller Supervisionsseminare für Lehrerstudenten und Lehrer beteiligt.
    Vor allem in den Siebziger- und Achtzigerjahren kam es in Deutschland zu einem regelrechten Boom der supervisorischen und gruppendynamischen Weiterbildung von Lehrern. Den Anfang machten
Walter Giere
(1936–2001) von der Hessischen Landeszentrale für Politische Bildung (Wiesbaden) sowie die Institute zur Lehrerfortbildung in Hessen; später folgten andere Bundesländer. Hier bot man interessierten Lehrern bis zu zweiwöchige gruppendynamische Selbsterfahrungsseminare zur Reflexion ihrer Arbeit mit Schülern und Kollegen an. Parallel dazu hat man auch Supervisionssitzungen für Lehrer an den Schulen finanziell unterstützt. Diese Gruppensupervisionen (S. 86ff.) wurden vorwiegend von jüngeren und engagierten Lehrerinnen und Lehrern besucht. Das hatte dann zur Folge, dass diese – wenn sie mit neuen Erfahrungen in den Schulalltag zurückkehrten – an ihren Schulen nicht selten in eine Außenseiterposition gerieten. Die auf diese Weise durch Supervision erweiterte Reflexibilität wurde als „Insider-Wissen“ gehandelt. Dadurch bekam das Anliegen leider manchmal einen schlechten Ruf.

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