Suppenmord: Kommissar Hölderling kocht (German Edition)
löschen würde, damit er sie sich immer wieder anhören konnte. Er wartete das Piepsen ab, mit dem das Telefon einen entgangenen Anruf ankündigte, und hörte die Mailbox ab. Und schon der erste Satz von Annelies zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht, dass ein Honigkuchenpferd vor Neid blass geworden wäre: «Wir waren so schnell weg. Ich fand das Wochenende mit dir trumpf. Ich halte dich über die Obduktionsergebnisse auf dem Laufenden. Natürlich nur, wenn du willst …»
Trumpf – besser ging es ja gar nicht! Natürlich wollte er auf dem Laufenden gehalten werden, und er schickte eine SMS mit dem zweideutigen Wortlaut: Ja, ich will.
Als er wieder aufschaute, stand Viktor neben Hölderlings Wagen. Der ließ die Scheibe herunter und sagte: «Wie lange stehst du schon da?»
«Lange genug, um zu wissen, dass du einen großen Fehler machst, mein Freund. Mir hat sie auch so eine Nachricht hinterlassen. Es bedeutet nichts. Verstehst du, NICHTS. Sie wollte nur nett sein.»
«Annelies ist nie nett, weil es die gesellschaftliche Konvention erfordert.»
«Ich glaube, der Struck indoktriniert sie. Er dreht sie um. Mit Gehirnwäsche. Er sozialisiert sie. Ich hasse ihn dafür», sagte Viktor und saß im nächsten Augenblick zwischen Tupperdosen und CD-Hüllen auf dem Beifahrersitz. «Annelies ist eine Künstlerin. Ihre Seele braucht keine gesellschaftlichen Konventionen. Dieser Spießer wird sie unglücklich machen. Annelies braucht ihre Energie für ihre Arbeit, sonst kann sie nicht blühen. Sie muss egoistisch sein und fern der Welt …»
Hölderling schaute seinen Freund an, und zum ersten Mal seit Jahren dämmerte ihm, was in Viktor vorging. Bevor der seinen Seelenstriptease später bereuen würde, sagte Hölderling schnell: «Danke, du bist ein echter Freund. Du bist in der Lage, innerhalb von Sekunden eine Seifenblase zur Explosion zu bringen. Wer könnte dich dafür nicht lieben?»
Viktor biss sich auf die Unterlippe, zündete sich eine Zigarette an und sagte: «So bin ich zu dir. Aber nun zu uns. Was machen wir mit der angebrochenen Woche? Doch nicht etwa arbeiten?»
Hölderling klappte das Handschuhfach auf. Eine Zellophantüte mit feinster Konfiserie purzelte heraus. Handgemachte Pralinés aus Brüssel. Viktor betrachtete die Tüte von allen Seiten. «Schade, angelaufen. Was für ein Unglück.»
Hölderling steckte sich ein Praliné in den Mund. «Geht noch hervorragend. Die sind nur kalt geworden.» Dann holte er den Reiseführer, den Sophie Wackernagel ihm zugesteckt hatte, aus dem Handschuhfach und schlug die markierten Seiten auf. «Du hast die Wahl. Immerhin drei Sterne-Restaurants in unmittelbarer Umgebung. Such dir eins aus.»
«Du wirst Ferdi untreu?»
«In jeder guten Beziehung braucht es ab und zu ein wenig Abstand», sagte Hölderling. Viktor bemerkte das dicke Manuskript, das Hölderling unter seinen Mantel geschoben hatte, und sagte: «Ach, ich verstehe. Du gibst echt nicht auf, was? Weißt du, mir ist nicht klar, was schlimmer ist, ein toter Vater oder einer, der lebt. Du wirst dir an diesem Ödipuskomplex – oder wie auch immer man das nennt – noch die Zähne ausbeißen.»
«Und wennschon. Eine Meditation in Schmerz hat noch keinem geschadet.»
«Perversling. Ich will in die Blaue Traube. Aber wir fahren mit meinem Wagen. In diesem hier ist mir zu viel Indien.»
Und nachdem Hölderling Ferdinand Bundt das Manuskript zu treuen Händen gegeben und Conrad darüber informiert hatte, dass die beiden Freunde gedachten, noch drei Tage länger die Gastfreundschaft des Romantikhotels in Anspruch zu nehmen, schoss der schwarze Porsche mit Viktor Liebermann am Steuer in Richtung Blaue Traube, wo, wie er bereits telefonisch in Erfahrung gebracht hatte, heute gespickter Rehrücken auf der Speisekarte stand.
[zur Inhaltsübersicht]
Kapitel 11
Was Viktor und Hölderling am jeweils anderen sehr schätzten, war die Gabe, beim Essen schweigen zu können. Dies brachte ihnen die uneingeschränkte Bewunderung des Maître d’ ein, der sich oft einem Publikum ausgesetzt sah, das ein mehrgängiges Sternemenü komplett zu Tode quatschte. Dass man sich ein Essen in der oberen Preisklasse leisten konnte, hieß ja nicht, dass man es auch zu würdigen wusste. Umso mehr freute er sich über diese beiden Herren, die dem, was auf dem Teller war, ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit schenkten.
Erst als der Oberkellner auf Anweisung des Restaurantchefs eine beinahe unbezahlbare Flasche Cognac mit den Worten
Weitere Kostenlose Bücher