Surf
etwas, behob eine Unregelmäßigkeit. Hin und her vom Gemessenen zum Gefühlten, in einer schnellen, physischen Wiedergabe eines Komplexes aus Theorien und Wünschen, vollzog er in schneller Abfolge Handgriffe, aus denen eine einzigartige, funktionelle Skulptur mit einem Eigenleben entstand.
Schließlich legte er eine Pause ein und sagte, er habe jetzt den groben Umriss fertig und werde die Detailarbeiten später ausführen. Also gingen wir in die Werkstatt zurück, und ich fragte ihn noch einmal nach der Gesamtform des Bretts.
«Ach, ganz normal», sagte er. «Genug Tail Rocker am unteren Ende, damit du wirklich aus dem Wellental hochschießen kannst. Eine ziemlich hochgebogene Spitze ist ganz nett bei späten Drops, außerdem hab ich dir ein gerundetes Tail gemacht, damit sich das Brett ganz locker anfühlt, aber es sollte auch einen weiten Turn ganz gut verkraften. Durch das bisschen Extradicke unter deiner Brust kannst du gut paddeln, aber ich hab das zum Rand hin abgeflacht, damit sich das Brett nicht wie ein Korken anfühlt. Außerdem mache ich im Allgemeinen einen einfachen oder doppelten Hohlschliff in den Boden, der aber kaum zu spüren ist.»
Klang gut.
Als Kunde, der den vollen Preis zahlte – somit also erkennbar kein Insider war –, konnte ich sicher sein, dass die Lieferung meines Bretts auf Jacks Zeitplan ganz unten rangierte. Aber ein Surfer, der nicht surft und nicht arbeitet, hat eine Menge, worüber er nachdenken kann, beispielweise Haie: Natürlich interessiert man sich für sie, studiert die Fotos ihrer klaffenden, blutigen Mäuler, wie sie auf den Decks von Fischerbooten oder Kais liegen. Weiße Haie erscheinen immer wie ein gespenstischer und nackter Fleck aus dreieckigen Zähnen und blassem, dickem Zahnfleisch. Und wenn man einen Weißen Hai einen ganzen Nachmittag lang anstarrt, beispielsweise den ausgestopften im San Francisco Aquarium – weit über vier Meter lang, aber in seinem Kasten irgendwie kleiner wirkend, wird er zu einem Symbol für das eigene Verhältnis zum Schicksal: Man weiß, dass es diese Tiere dort draußen gibt, sogar, dass sie an bestimmten Orten häufiger sind als an anderen, aber trotzdem stehen die eigenen Chancen nicht schlecht. Entweder man hört mit dem Surfen auf (undenkbar), oder man akzeptiert die unter Surfern weit verbreitete Haltung: «Na ja, wenn mich ein Hai fressen will, dann frisst er mich halt.» Klingt ganz vernünftig, obwohl sich sofort die Frage aufdrängt, wie viele andere Lebensformen in Amerika die Möglichkeit einschließen, von einem zweitausend Pfund schweren Raubtier mit rasiermesserscharfen Zähnen verschlungen zu werden. Ein Mitschüler auf der Highschool hatte einmal die Polizei-Fotos eines Surfers aus Monterey gesehen, der fast entzweigebissen worden war – er erzählte mir wiederholt, dass der Großteil des Brustkorbs des Mannes weg war und sich seine inneren Organe über den Tisch im Leichenschauhaus ergossen. Das Brett wurde als erstes angeschwemmt und wies einen klassischen Bissrand auf – wie wenn ein Kind in einen Keks beißt. Der Leichnam war beinahe zwei Wochen in den kalten Strömungen getrieben, bis er gefunden wurde. Jahre später vergnügte sich ein anderer einheimischer Surfer an einem abgelegenen Riff, als er plötzlich das Gefühl hatte, jemand habe ihm einen VW auf den Rücken geworfen – auf einmal war er unter Wasser und blickte in ein Riesenauge. Und in Oregon biss ein Hai einem Surfer, der dasaß und auf eine Welle wartete, von unten ins Brett; das furchtbare Maul stieg aus dem Wasser, dann schlugen die Zähne in das Fiberglas zwischen seinen Beinen. Der Hai vollführte einen Sprung, das Brett zwischen den Zähnen, und zerrte den Surfer an der Leine um seinen Knöchel mit sich; als sich der Hai umdrehte, um anzugreifen, packte der Surfer ihn beim Schwanz – zwei Surfer können das bezeugen –, und so schossen sie zusammen im Kreis herum, bis der Hai losließ.
Es gab in jenem Herbst ganze Wochen, in denen es keinen Sinn hatte, am Point zu surfen. Ich war sogar mehrmals im Regen den Sandweg zum Strand gegangen, als besuchte ich eine Geliebte, die nie richtig in Stimmung war. Aus irgendeinem Grund machten sich Vince und sein Freund Willie Gonzales in jenen Tagen nicht einmal die Mühe, nachzusehen, da sie die dort herrschenden Bedingungen offenbar aus der Ferne vorhersagen konnten. Aber das ist ja eines der Geheimnisse dieses Sports: Man muss bereit sein, flexibel, immer in Form. Einen Tag lang kann ein Sturm
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