Surf
angewidert. Mehrere seiner Freunde hatten sich umgedreht und sahen zu.
«Mal ganz ehrlich», sagte ich, «du kennst die Regeln doch, oder, du kleiner Scheißer? Du hast mich geschnitten, hast mich gesehen und bist nicht ausgewichen, stimmt's?» Als er merkte, wie wütend ich war, lachte er nervös, und dann verlor ich die Beherrschung und schiss ihn lauthals zusammen, bis ich mich an die Lektion des Longboarders erinnerte und ihm eine Ich-bin-doch-sehr-enttäuscht-von-dir-Strafpredigt hielt, um Schuldgefühle bei ihm zu wecken. Als ich fertig war, wirkte Apollo eher wie ein eingeschüchtertes Kind als wie ein echter Gegner, und ich kam mir wie ein Schuft vor. Beschämt und gequält lächelnd drehte er sich zu einem bärtigen Mann um, der neben mir auf dem Wasser trieb. «He, Dad», sagte er kleinlaut, «wollen wir noch eine nehmen und dann aufhören?» Interessant: Dad war ein kräftiger Surfer, der nicht im Entferntesten von mir hätte eingeschüchtert werden können, aber er hatte während meiner Schimpftirade keinen Ton gesagt. Er dachte wohl, dass der kleine Mistkerl sie verdient hatte.
Doch dann, obwohl ich mich ganz im Recht fühlte, kam ein Kajak hinter mir geschickt auf einer großen Welle, und da konnte ich nicht anders, schnitt ihm den Weg ab und verletzte damit dieselbe Regel wie Apollo. Wir sausten die Welle hoch und runter, berührten uns fast ein paar Mal, bis er in den Schaum geriet und zurückfiel. Später paddelte der Geschnittene mit seinem sternengesprenkelten Kajak herüber und sagte mit hochrotem Gesicht und wohlwissend, dass er den Kürzeren ziehen würde: «Wenn du noch mal so 'ne Show abziehst, fahr ich glatt über dich drüber.»
Starke Worte. «Pack dein billiges Spielzeug ein und scher dich weg», hörte ich mich sagen, «oder lern surfen.» Danach gab es nur noch die Flucht: die Betontreppe rauf, zwischen den Spaziergängern und Joggern hindurch und runter zum Ende des Strands. Der ungesellige Außenseiter scheut die menschliche Gesellschaft, und so glitt ich die ausgetretenen Stufen hinunter, warf das Brett ins Wasser und sprang hinterher. Plötzlich tauchte ein Seetaucher aus einer Welle heraus auf, und drei Seelöwen steckten die Köpfe aus dem Wasser und blickten sich um – auf einem vorgelagerten Felsen unterhielten sie eine lautstarke Kolonie. Ein voller Regenbogen reichte bis ins Wasser herab und verband die dunstigen grünen Hügel mit der glitzernd weißen Pier, goldgeränderte Gewitterwolken zogen am Himmel vorbei: Regen, dann Aufheiterungen, dann Schauer, dann Sonnenschein. Und dann, während ich tief atmete und mein letztes Gespräch rekapitulierte, ging mir auf, dass ich zu dem geworden war, was ich am meisten verachtete. Also ließ ich mich treiben und sah mir eine Weile alles an, blickte auf die dicht gedrängte Gruppe der einheimischen Surfer, die das Riff so aus dem Effeff kannten, dass jedes schwierige Manöver, jeder Aerial, jeder scharfe Turn völlig intuitiv und flüssig aussahen. Auch ein paar ältere Longboarder waren da, sie kannten die Wellen so gut, dass sie auf dem Brett standen, bevor diese brachen, und zwei ältere Shortboarder waren offenbar alternde Schwergewichte, deren Status als Alpha-Männchen unangefochten war. Zählte man den Rest der etwa hundert Personen hinzu, die jetzt im Wasser waren, erlebte man an der Lane die gemeinschaftliche Surfsession einer ganzen Stadt: Hippies mit Salzwasser-Dreadlocks, Typen mit kurz geschorenem, gebleichtem Haar, die in den 1980ern stecken geblieben waren, Studenten, die dazugehören wollten, ohne den Einheimischen den Respekt zu verweigern.
«Soll ich dir mal was erzählen?», fragte mich ein Typ. der in der Nähe trieb. Er hatte eine rote Nase und trug einen blauweißen Anzug.
«Klar», sagte ich.
«Gestern bei Ebbe bin ich hier mit ein paar Jungs im Wasser, und da kommt ein Otter auf dem Rücken vorbeigeschwommen und hält eine Bierdose in den Pfoten, als wollte er daraus trinken. Also frag ich den Typ neben mir: ‹He, was der wohl für 'ne Sorte trinkt?› Antwortet der Typ: ‹Wieso willste das wissen?› Gut, was?»
Bevor ich antworten musste, kam glücklicherweise eine Welle angewalzt: Sie krümmte sich in der Brise, wurde immer höher, und ich kam ungehindert bis ins Innere der Bucht. Und gerade als ich vom Board rutschte, sah ich den Kajak und damit den einzigen Menschen, der mir vergeben und mich von meinen Sünden befreien konnte. Während ich zu ihm paddelte, sah ich seine zusammengebissenen Zähne
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