Surf
weder ist sie etwas, das man besitzen, noch ein Ziel, das man erreichen kann – nur ein flüchtiger Zustand fürs Bewusstsein. Einen viel größeren Teil meiner Zeit verbrachte ich schließlich im Zustand des Träumens und Suchens als mit dem tatsächlichen Wellenreiten; sehr viel mehr Zeit ging dabei drauf, die Küste hinaufzufahren und zwischen den Wellen umherzutreiben. Von einem ganzen Jahr voller Hingabe hatte ich zusammengenommen vermutlich nicht mehr als einen Tag wirklich stehend auf dem Surfboard verbracht, und deshalb konnte ich einen Augenblick wie diesen nicht ohne ein glühendes, frustriertes Begehren, eine beinahe religiöse Sehnsucht nach Ganzheit betrachten. Im Unterschied zu so vielen anderen Leidenschaften gilt: Während wir wohl wünschen können, dass eine Blume immer weiter blüht und eine reife Weinbeere für immer am Rebstock hängt – Sehnsüchte nach flüchtiger Schönheit und Jugend, die sich John Keats zu Eigen machte, diese nachvollziehbar hoffnungslose Hoffnung, wir könnten die schöneren Momente unserer Welt festhalten liegt die Vollkommenheit der Welle eher im Abfallen der Blütenblätter, in der schieren Bewegung der fallenden Frucht.
Dunkler, heftiger Regen auf dem Highway, während ich an einem platt gewalzten Stinktier und einer zerfetzten Hauskatze vorbeifuhr. Ich war übers Wochenende bei Susan in Berkeley gewesen; ein hervorragender Lendenbraten, dazu Zinfandel, ein paar Videos und die Sonntagszeitung. Nur weil Susan billige Strandhütten in verschlafenen Provinzstädtchen nicht sentimental machten, waren ihre Wünsche und Bedürfnisse keineswegs krass materialistisch. Sie wollte einfach eine gute, ruhige Beziehung, vielleicht hin und wieder ein Gespräch über eine gemeinsame Zukunft. Sie tat sogar so, als mache es ihr nichts aus, dass ich noch am selben Morgen – obwohl es regnete und ich für mein Seminar am Tag darauf noch keine einzige Zeile gelesen hatte – ihre Wohnung in aller Frühe verließ, um an die Küste zu fahren. Ich musste einfach das Wasser in dieser winterlichen Stimmung sehen.
Und jetzt, einige Meilen nördlich von Santa Cruz, stand da ein Vogel von der Größe eines großen Truthahns in meinem Scheinwerferlicht: ein großer Reiher, ruhig, gefasst und fast unsichtbar auf seinen langen Beinen mit den knubbeligen Knien und breiten Füßen mit Schwimmhäuten. Neugierig spähte er die Route 1 auf und ab, während die Reihen der Scheinwerferlichter aus beiden Richtungen näher kamen – ein Bild hilfloser Eleganz. Als ich hupte, breitete er die Flügel aus, erhob sich schwerfällig vom Asphalt und war mit einigen Flügelschlägen hoch oben in der regenschweren Luft. Ich fuhr rechts ran, sah zu, wie er landete und langsam einen Sandweg entlangstakste. Allein in diesem strömenden Regen (der ganze Staat war praktisch überflutet, der Russian River schwemmte Häuser davon, der San Lorenzo färbte das Wasser der Bucht braun, ganze Strände wurden fortgespült) stolzierte der Reiher, graziös und doch ungelenk, zu einem schlammigen Bach, in den das Wasser von einem mit Weiden bestandenen Hügel floss, unter einem Aluminiumzaun hindurch und einen Feldweg entlang. Der Vogel stand in diesem Scheinbild einer Lagune und dehnte den Hals wie eine Bogensehne, dann steckte er ihn in das zentimeterflache Wasser; pickte ein Schlammklümpchen auf und spuckte es wieder aus, als handele es sich um eine Sandkrabbe in einem Priel (sogar ich in meinem Pick-up bei laufender Heizung und Scheibenwischern konnte sehen, dass es bloß ein Matschklumpen war).
Am nächsten Abend wieder Reiher. Der Sturm war vorüber, die Wolken hoch oben. Ich hatte mein Fenster geöffnet und las vor dem Abendessen; eine Brise bauschte die Vorhänge, und auch die Palme raschelte (ich hatte sie am vorangegangenen Samstag ziemlich zugerichtet – wussten Sie, dass Palmholz butterweich ist? Ich hackte die kleinen Triebe mit jeweils sechs Beilhieben durch). Der Ahorn schwankte leicht im Fallwind, genau wie der einzige Baum, an den ich mich aus meinen vier Jahren im Staat New York erinnere. Zwar konnte ich mich an ganze Hänge voll davon erinnern, aber es gab nur einen einzigen Baum, der mir um seiner selbst willen in Erinnerung geblieben war. Es war auch ein Ahorn, und er stand da, alle Blätter ausnahmslos strahlend gelb wie beleuchtet, am Rand einer Felsschlucht. So schrill künden die Farben in Neuengland vom Übergang, dass sie eine indirekte Studie über die Vergänglichkeit der Schönheit abgeben.
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