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Surf

Surf

Titel: Surf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Duane
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und seinen unruhigen Blick. Er war aufs Schlimmste gefasst.
    «Sieh mal», sagte ich und setzte mich auf, «ich brauch wohl einen Psychiater. Ich hab mich vorhin wie ein echtes Arschloch benommen, und es tut mir wirklich Leid.»
    Der Kajaker war so überrascht, dass es einen Augenblick dauerte, bis er verstand, was ich meinte. Als er es begriffen hatte, lächelte er breit (und hat mich seitdem immer freundlich gegrüßt, wenn sich unsere Wege kreuzten). Während ich schwerfällig die Betontreppe hinaufstieg, hatte ich ein Gefühl, als laste das Gewicht der ganzen Welt auf mir und als brauchte ich eine Pause, da hörte ich einen kleinen Flachskopf mit Fistelstimmchen fragen, ob die Wellen gut seien. «Der Wahn», erwiderte ich, worauf er an mir vorbeimarschierte und sagte: «Na hoffentlich! Ich bin mit dem Rad quer durch die ganze Stadt gefahren!»
    Da sah ich Vince auf dem Bürgersteig neben dem Denkmal des Unbekannten Surfers; er trug eine saubere Jeans, ein strahlend weißes T-Shirt, Sandalen und eine Baseballmütze, saß auf seinem rostigen Tourenrad und lehnte am Klippen-Geländer, zugleich aufmerksam wie ein Habicht und doch jungenhaft; als sei er so lange der Perfektion nachgejagt, bis er in einen angenehm selbstzufriedenen Hedonismus hineingewachsen war; als bestimme er , welche Dinge es wert waren, sie sich zu holen, und als bekäme er sie auch.
    «Na, Spaß gehabt?», fragte er.
    «Ja, hab ein paar erwischt.»
    «Echt? Hab ich gar nicht gesehen.»
    «Na ja, ja, klar, ist schon etwas her. Du warst gestern gar nicht am Point.»
    «War ziemlich beschissen, was?»
    «Ja», sagte ich, keuchend und tropfend, und klagte über meine dreistündige Suche im gesamten County. «Schließlich bin ich am Point gelandet, war aber nichts.»
    «Hätte ich dir gleich sagen können», sagte er, immer ganz darauf aus, Punkte zu sammeln, während man selbst schwächelte. Dann blickte er aufs Wasser und erklärte mir: «Der Point ist nie gut bei Nordswell, außerdem hat er schon seinen ganzen Sand auf dem Riff gelassen.»
    Genau was ich bemerkt hatte, aber nicht benennen konnte: Vor dem Riff war das Wasser tiefer gewesen, es ließ die Wellen unter mir verschwinden.
    «Schon dein neues Board geholt?»
    Nein.
    Er grinste vielsagend und bemerkte dann: «Schön, was?» Wehmütig blickte er auf das Bild vor uns, saß immer noch auf seinem Fahrrad, die Sandalen auf den Pedalen.
    Ich sah mich um, versuchte nachzuvollziehen, was er sah: ein ziemlich schöner Tag, tiefblaues Wasser und ein strahlend blauer Himmel – wenn man die vielen Leute vergessen konnte, die das Bild störten, all die unvermeidliche Hässlichkeit des Kampfes um Ressourcen.
    «Es ist alles so … so klar.» Er war wie hypnotisiert von den Wellen, die vorbeikamen, und sah nicht einmal die Horden, die darauf ritten. Er war ein verzückter Kenner und hatte zeit seines Lebens einen Geschmack kultiviert, vergleichbar etwa der rein ästhetischen Würdigung der Frau eines anderen Mannes. Noch nach dreißig Jahren gehörte sein Herz dem Juwel seiner Heimatstadt. Und von der Klippe hier oben aus gesehen, hatte das Meer heute tatsächlich eine besondere Ausstrahlung, wenn man die Massen einmal außer Acht ließ. Ruhige, glänzende Wellen ohne Unebenheiten glitten durch das glatte Wasser wie gelassene Bögen aus Energie. Nichts Chaotisches, nichts Heftiges, nur ein grünes, gläsernes Pulsieren, das sich sanft in Weiß ergoß. Die Surfer brachen mühelos auf, kraulten, kamen auf die Beine, glitten ihre Strecken hinab und nahmen teil am ruhigen Schieben einer gutmütigen See. Genug für einen Mann, der – wie ich erfahren hatte – irrsinnige indonesische Tubes geritten und allein auf den Kanarischen Inseln gelebt hatte, um an einem wenig spektakulären Tag an einem städtischen Surfspot ein seltenes und heiteres Bild zu erleben: den exakt richtigen Zeitpunkt zwischen Ebbe und Flut, eine kräftige, aber nicht zu hohe Dünung, die im genau richtigen Winkel aus dem westlichen Pazifik kam, bei leicht ablandigem Wind, der die Wellen steil hielt, ehe sie brachen, fast ohne Kabbelungen drum herum. Dieser Augenblick war umso kostbarer, wenn man wußte, dass er morgen, vielleicht schon in einer Stunde, vorüber sein würde.
    Während mein schwarzer Surfanzug in der Sonne wärmer wurde und ich die tiefe Verletzung meines inneren wa vergaß, überlegte ich, wie eine brechende Welle zum Ideal von Vollkommenheit, zum Objekt der Surferbegierde, zum Wesen aller Kurzlebigkeit werden kann;

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