Surf
gleich », antwortete Willie. Er würde sehr gern nach Wellen Ausschau halten, habe gerade selbst ans Meer fahren wollen. Dann lud er uns ein, ins Haus zu gehen, während er sein Brett und den Anzug holen wollte. Was für eine Offenbarung! Gewachste Zedernböden und -schränke, ein riesiges Bücherregal, drei akustische Konzertgitarren. Die gesamte Front nach Westen hin bestand aus Fenstern bis zum Boden. Draußen, hinter der verwitterten Veranda und einem kleinen Garten mit Küchenkräutern und Salatbeeten (eine zu schlichter Schönheit bearbeitete Wildnis), strahlte der Pazifische Ozean seine überwältigende Ruhe in jeden Winkel von Willies häuslichem Leben. Seine hübsche Frau, Pascale, saß an einem selbst getischlerten Esstisch, trank Espresso und las die New York Times . Pascale war eine liebenswerte Mischung aus europäischer femme fatale und gutmütiger New-Age-Femininistin; sie schien irritiert und amüsiert zugleich von diesem Truppenaufmarsch; angestachelt von einem Leben, das mit derartiger Pflichtvergessenheit einherging.
«Ich habe vier Tage frei», sagte sie zu Vincent, den sie zweifellos gut kannte, und imitierte dabei einen Brooklyner Akzent. «Vier Tage! Und macht er mir vielleicht Vorschläge, was man unternehmen könnte? Höre ich vielleicht so etwas wie; ‹He, Liebling, wollen wir nicht mal zusammen wegfahren?› Aber nein! Bloß» – hier fiel sie in einen makellos modulierten, nicht übertriebenen Surfer-Tonfall – «‹tut mir Leid, ich weiß noch nicht, wie die Wellen aussehen.›» Dann wandte sie sich wieder ihrer Zeitung zu und murmelte: «Einfach erbärmlich.» Aber die Art, wie sie sich beklagte, hatte etwas herrlich Gutmütiges, auch wenn hinter jedem Scherz etwas Ernstes steckte. Während sie sich mit Vince unterhielt, sah ich mir die Bücher an: überwiegend amerikanische Lyrik und Romane von Minderheiten-Autorinnen, ein paar Stretching-Handbücher und ein Frauen-Gesundheitsbuch. Willie kam mit seinem Brett ins Haus und bat Pascale um ein paar Dollar. Sie deutete auf ihre Handtasche, grinste und las die Sport-Seiten – wie sich herausstellte, war sie Baseball-Fan. Offensichtlich hatte sie die nörgelnde Ehefrau nur für mich und Vince gespielt, als seien ihr all die kleinen Unabhängigkeitsphantasien der Männer völlig klar und als habe sie diese nur ein wenig veralbern wollen.
Wir zwängten uns in Vinces Pick-up und fuhren zurück auf den Highway, dann weiter nach Norden, hielten an etlichen Wasserscheiden; dort, wo die kleinen Bäche ins Meer flössen, kletterten wir die Böschungen hinauf oder an den Rand der Klippen und inspizierten das Wasser. Da kein Riff die Dünung so ganz richtig traf, fuhren wir noch weiter Richtung Norden, unterhielten uns über dies und das und spielten endlos mit den Variablen herum: An dem Spot ist die Dünung zwar höher, aber die Ebbe wird bald zu stark sein, vielleicht brechen die Wellen nach einer Weile sauberer, aber der Wind kann schlimmer werden, und vermutlich tauchen auch bald die Massen auf; man könnte ja auf die Ebbe warten und einen anderen Spot ausprobieren, aber was ist mit der Sturmfront, die da heraufzieht?
«Chummies?», schlug Vince vor, womit er einen Surfstrand meinte, an dem ein Tauchlehrer angefangen hatte, tonnenweise «Chum» – Schweineblut und Tierabfälle – ins Wasser zu werfen, um Weiße Haie anzulocken.
«Haste Lust?», fragte Willie.
«Könnte ideal sein.»
«Es gibt keine Garantien im Leben, aber was soll's. Wir sind unterwegs, die Fahrerei macht Spaß und mit euch dabei sowieso. Vielleicht lohnt sich das Ganze so richtig, vielleicht werden wir aber auch bloß nass.»
«Klar, wie sollte es auch anders sein …», erwiderte Vince. Während sich Willie dafür aussprach, einfach einen Surfspot auszusuchen und damit zufrieden zu sein, war Vince immer auf der Suche nach dem Gras, das anderswo grüner sein könnte. Außerdem beanspruchte er eine unbestreitbare Autorität im Hinblick auf jede Variable aller Surfspots im gesamten County, wodurch sich die Verhandlungen etwas schwierig gestalteten. Doch nach fast einer weiteren Stunde, in der wir herumfeilschten und durch unsere Fahrerei zum Treibhauseffekt beitrugen, einigten wir uns – eigentlich sie sich – auf «Chums», sehr zu meinem Entsetzen. Also parkten wir an einem kleinen Bach, der über den Strand ins Meer floß, kraxelten zwischen Schrott herum, der früher mal ein spektakuläres Autowrack gewesen sein musste – eine verbeulte Karosserie, eine
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