Surf
Kurbelwelle, ein Kühler-, gingen weiter, vorbei an weißen Ranchgebäuden, Knobcone- und Montereykiefern und Sträuchern, zwischen denen ein Milan jagte.
Ein Wolkenstreifen erstreckte sich über den ganzen Horizont und sah aus wie ein menschliches Rückgrat im Nebel. Die pulverisierten Muschelschalen, gemischt mit schwarzen Kieseln, gaben dem knirschenden Sand Glanz. Aber auch Spuren eines Gemetzels waren zu sehen: ein großer See-Elefant, dessen Hinterteil halb abgebissen war, ein hellrotes inneres Organ quoll aus seinem Leib, hellrosa und weiße Muskelstränge hingen schlaff herab. Zwei Flossen lagen am Körper an wie brandige Hände; in der Nähe stand seelenruhig eine Möwe und schaute vom Gegenstand ihres Interesses weg – wie Möwen das so tun –, ließ den Blick in die Ferne schweifen. Nachdem uns die Möwe geduldig und ohne Angst vorbeigelassen hatte, hackte sie dem See-Elefanten die Augen aus. Wir setzten diesen Ausflug fort, wobei die Wellen fast zu einer Chimäre geworden waren, die rechtfertigte, dass ich Tag für Tag über obskure Strände wanderte und das Verhältnis eines Riffbodens zu den vorherrschenden Winden und diversen Dünungsrichtungen erkundete; dann überquerten wir einen weiteren Bach, der aus den Bergen herabfloss und über Kieselsteine strömte, die wie Holz gemasert waren. Und da, noch ein Gemetzel: ein enthaupteter Otter; seine gesplitterten Knochen ragten durch die ersteifte Haut, das Rückgrat stand in die Höhe wie ein gebrochener Flaggenmast. Offenbar fressen Weiße Haie keine Otter, sondern reißen ihnen lediglich den Kopf ab. Während wir uns unter der tief liegenden Wolke näherten, hockten zwei sehr große Geier ganz in der Nähe auf einem Baumstamm und ließen den Kadaver nicht aus den Augen; geduldig plusterten sie ihre dunklen Gefieder im Tempo unseres Schlendergangs, ihre knochigen Nüstern atmeten dieselbe seetanghaltige Brise wie unsere Nasen. Als wir näher kamen, erwiesen uns die Raubvögel den gebührenden Respekt und schwangen sich mit ihren breiten, schweren Flügeln zu ihrem Ausguck auf der bröckeligen Klippe empor.
Vince unterhielt sich mit Willie über eine erfolgreiche Fotojournalistin, die er kürzlich auf einer Dinnerparty getroffen hatte. Diese Frau hat enorm viel Power, sagte Vince, echte Kraft und echten Ehrgeiz. Während er Steinchen aufhob und über das Wasser hüpfen ließ, erzählte er, dass sie die ganze Welt bereist habe, in Nepal, Tibet, abgelegenen Orten im Südpazifik, in ganz Afrika gewesen sei. Offenbar hatte sie Vince des Öfteren gescholten, weil er immer wieder zu einer Inselgruppe vor der Westküste Afrikas zurückgekehrt war und nie andere interessante Orte im Inneren Afrikas besucht hatte. Seit nunmehr zwanzig Jahren flog er zu dem kleinen Archipel im Atlantik, wo ihm das Bevölkerungsgemisch aus Abkömmlingen maurischer Piraten, afrikanischer Sklaven und spanischer Seeleute gefiel. «Ich habe einfach keine Lust auf Afrika», sagte er. «Andere haben auch überlebt, ohne dort gewesen zu sein, stimmt's?» Irgendwie schien ihn der Gedanke doch zu wurmen, forderte ihn heraus, seine Einstellung in Frage zu stellen, dass nämlich mit den täglichen Spaziergängen, die er unternahm, aller Reiselust genüge getan war. Natürlich stimmte ich dem zu und Willie wohl auch; aber Vince fühlte sich offenbar unter Druck gesetzt.
Als wir endlich einen guten Blick auf das Riff hatten, bemerkte Willie, wie Vince es genauestens unter die Lupe nahm. «Lass mich raten», witzelte er, «gestern war es fünfmal besser.»
Vince lächelte und schwieg. Wir zogen uns an einer Stelle um, an der ein paar große Brocken Sandstein aus dem Strand ragten, streiften die Neoprenanzüge über und paddelten zu einer Welle hinaus, die von einer Unebenheit unter Wasser geformt worden war. Brandungen spiegeln meist exakt den Umriss des Kontinents und die Strömungen der Wasserscheide wider – von den Gezeiten gebogene Sandbänke, die unter Wasser liegende Rundung einer Bucht –, aber diese Wellen brachen direkt über dem Strand, ihr Riff war das Überbleibsel einer Küstenlinie, die nicht mehr existierte. Reffen bezeichnet im Segelsport die Verringerung der Segelfläche – und sicherlich «refft» auch ein Felsenriff in gewisser Hinsicht die Welle. Der Name «Chums» verstärkte die ohnehin schon düstere Aura, die dieser Ort besaß: Ein paar Jahre zuvor hatte ein Hai einen Mann zerfleischt und das ganze «Chumming», also das Ausschütten von Blut, Eingeweiden und
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