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Surf

Surf

Titel: Surf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Duane
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wischte er seinen Neoprenanzug ab, griff in einen Arm und stülpte die Außenseite heraus. «Du hast hoffentlich bemerkt, dass diese reizenden kleinen Wellen völlig ungestört heranrollen, oder?»
    Das stimmte, keine Menschenseele im Wasser, aber die Tide war noch zu flach.
    Er beschimpfte sich selbst, als wir den Weg hinunterhasteten; «Meine arme vernachlässigte Frau», sagte er, «muss mit einem solchen Drückeberger wie mir verheiratet sein.» Dann widmete er sich wieder mir und sagte, ja, das Wasser sei tatsächlich noch etwas flach, aber schon bald würden die Wellen mehr Kraft haben. Ein Sturm hatte den wuchernden Seetang aus seiner Verwurzelung gerissen und diesen Unterwasserwald am Strand zu einem verfaulenden, stinkenden Haufen aufgetürmt. Unsere Füße versanken in einem Gase verströmenden Bett verwesender Meeresfauna und -flora; Wolken von kleinen Fliegen und Sandflöhen stoben auf, um gleich wieder in den feuchten Schatten des Haufens zurückzukehren. Diese kleine Nische gehörte ihnen, eine enge, wohnliche Welt. Tiefer vergraben in den Algen waren Krabben, Spinnen, Würmer und Schwämme, die alle einen jahreszeitenbedingten Tod starben. Ein kleiner Schwarm weißer Strandläufer trippelte am Rande des triefenden Treibguts, pickte in den Sand wie Spechte in Baumrinde und hüpfte dann vor dem zurückfließenden Schaum davon; eine Bewegung wie die der herbstlichen Wolken aus Spatzen im Nordosten, wie ein Körper ohne Kopf, in Erwiderung einer Matrix aus Wind und Reflex. Meine Großmutter hatte meinem Vater, bevor sie starb, erzählt, sie habe sich immer wie eines dieser winzigen Tiere gefühlt, die überall herumstöbern, die immer wer weiß was hinterherjagten. Dad selbst hatte mir ihre Namen gesagt und was sie fraßen. Kurz nachdem meine Eltern geheiratet hatten, zogen sie nach Balboa Island in der Nähe von Los Angeles. Er hatte in einer Zementfabrik gearbeitet, und wenn diese an regnerischen Tagen schloss, ging er am Strand spazieren und beobachtete Vögel. Dad hatte nie eine besondere Naturverbundenheit verspürt; er ordnete sein Leben eher nach Geschichten und Gelächter als nach der Sicherheit einer sorgfältig benannten Welt; also fand ich es schwierig, mir die Ruhe und Melancholie vorzustellen, die es braucht, um offen für solche Details zu sein. Doch als ich mir jetzt ansah, wie die Vögel im Sand pickten, kam mir der Verdacht, dass ihm die Zelebrierung des Weltlichen in ihrem winzigen Leben, ihr liebenswürdiges, wenn auch sisyphosartiges Überleben gefallen hatte.
    «Derelictus!», sagte Vince, als wir um eine große Felsecke herumsprinteten, und ahmte damit Willie nach.
    «Wirklich, derelictus in flagrante.» Wir hatten es nicht richtig abgepasst und standen in einer tropfenden Höhle, genau als eine Welle sie bis zu unseren Hüften füllte. Kleine Insekten krochen zu Tausenden über die schleimige schwarze Decke, und als das Wasser wieder abfloss, rumpelten rund geschliffene, kopfgroße Kiesel hinterher wie gebrochene Knochen. Über ein paar Felsblöcke hinweg kamen wir vorbei an einem über die Klippen hinausragenden Felsvorsprung, der bei Flut ein perfekter Absprungplatz war. Doch jetzt war Ebbe, und man konnte direkt zum Point marschieren, ohne jedes Paddeln; über nasse schwarze Felsen und Miniaturstrände hinaus ins Wasser, um einen großen Felsbrocken zu umrunden, dann wieder zurück, immer weiter am Sandsteinkliff entlang. Die Felswände waren voll von triefendem Moos, und wieder ein Mikrokosmos: Verkrustungen, die winzige Sandhöhlen bildeten, Röhrenwurmkolonien, deren größere Löcher jetzt von violetten Krebsen bewohnt wurden. Millionen junger Seeanemonen überzogen einen anderen Felsen, ihre nassen, pfenniggroßen Münder gegen die ausdörrende Luft verschlossen. Vince sagte, dieses Jahr sei mehr Sand da als gewöhnlich; er füllte Felsspalten, verschloss kleine Wasserlöcher. Bis zu den Hüften im Wasser wateten wir zwischen zwei bröckelnden, mit Vogelkot bedeckten Felssäulen hindurch, dann eine natürliche Treppe aus Felsvorsprüngen hoch bis zur äußersten Spitze des Point: ein Boden aus gefurchtem, zerfressenem Stein unter überhängenden Klippen voll violett blühendem Eiskraut. Dann die Überbleibsel eines kürzlich eingestürzten Teils eines Felsvorsprungs: ein fast zwanzig Meter hoher Turm aus Sedimenten, absurd vom Kontinent abgetrennt, das Gras obenauf schwindend, alles Getier zweifellos geflohen. Die Flut hatte bereits die Verbindung zum Festland weggespült,

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