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Surf

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Titel: Surf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Duane
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viele Anläufe es wohl gekostet hatte, bis die Evolution dieses System hervorgebracht hatte: Luftsäcke, die sich mit Blättern abwechselten, damit die Pflanze weit genug oben schwamm für die Photosynthese. Viele Leute haben mir schon gesagt, was für eine Plage ich sein kann – eigensinnig, selbstversunken, ein schlechter Zuhörer –, und mögen mich dennoch wegen meiner Vorzüge, beispielsweise, dass ich gerne die gesamte Geschichte eines Menschen erfahren will. Vince verbrachte seine Zeit auf dem Wasser nur zum Teil aus Liebe zum Surfen; der weitaus gewichtigere Grund – das gilt auch für viele andere Surfer – ist der, dass er keine andere Wahl hatte. Kein Soldat kam entzückt über das, was er gesehen hatte, aus dem Vietnamkrieg zurück, und schon gar nicht ein resolut antimilitaristischer Surfer wie Vince. Alles, was ich über seinen Pflichteinsatz wusste, hatte ich von Willie erfahren: Nach einem Jahr im Feld brachte Vince seine Antikriegsagitation sechs Monate Knast im Marine Corps ein. Bis heute leistete er sich keine Veteranen-T-Shirts oder -Autoaufkleber und nur wenige Meinungsäußerungen über Kriege, ob große oder kleine. Hin und wieder machte er eine unheimliche Bemerkung wie: «Mal sehen, wie lange es her ist, seit ich jemanden umgebracht habe … zwanzig Jahre?» Doch nie erging er sich in Einzelheiten. Vielleicht hatte Krieg nichts mit Vinces Anspruch, den er auf die Wellen erhob, zu tun, mit der Art, in der er auf dem Wasser nach der Nummer Eins Ausschau hielt, aber es wäre eine angemessene Erklärung für mich. Eine Erklärung, warum er täglich stundenlang in die Weite starrte, mit dem Meer stieg und fiel, Dampf abließ und dabei aufrichtig und egoistisch Spaß hatte. Sogar eine Erklärung, warum er mich ab und an auch einmal hinterhältig austrickste.
    Ein Seetaucher neben mir versuchte eine halbe Stunde lang, einen überdimensionalen Karpfen zu schlucken; er hatte buchstäblich den Mund viel zu voll genommen. Der 30 Zentimeter lange Fisch ragte 20 Zentimeter aus seinem Schnabel heraus und zappelte wie wild. Jedes Mal, wenn ich aus einer Welle herauspaddelte, war der Fisch drei oder vier Zentimeter tiefer in seinen anschwellenden Rachen gerutscht. (Man stelle sich die Unverdaulichkeit vor! Als schlucke man eine ganze Katze.) Der Otter schwamm auf dem Rücken vorbei, und ich kriegte mehrere schnelle, kleine Wellen, die über brodelnde Strudel und hervorstehende Felsen rollten. Dann wieder Flaute; warten, treiben lassen, auf und ab, über Milliarden kleine Dramen hinweg plätschernd. Immerhin gibt einem dieses Spiel eine ausreichend kleine Linse, um einen winzigen Teil der Welt genau betrachten zu können: Ein Küstenstreifen wie dieser bietet die ältesten Formen gemeinschaftlichen Lebens auf der Erde; seine Kliffe durchlaufen Abschnitte geschichteter Vergangenheit, geologische Zeitalter zwischen Ascheschichten und Muschelhaufen. Und Surfen hinterlässt keine Spuren: Die gemeißelte Wand löst sich ohnehin auf, die Welle bricht sowieso. Ich stürzte in eine Welle, gerade als eine Kette von dreiunddreißig Pelikanen abhob und über Dünung und Wellental flatterte, verspürte dann einen heftigen Ruck, und mein Brett brach aus: Eine im Debakel am Point angeknackste Finne war abgerissen. Aber der Wasserstand war ohnehin zu sehr gestiegen. Die Wellen waren jetzt durch die zusätzliche Tiefe viel zu träge, und Vince wollte die Verabredung zum Mittagessen mit seiner Frau einhalten. Wir schnappten noch ein paar letzte Wellen, und gerade als meine sich über einen Felsen hob, plumpste ich runter. Als ich wieder auftauchte, hatte ich zwei Boards. Mein Baby, mein Shaped for Dan», war entzwei. Vince bemerkte es erst nicht, stand einfach keuchend auf dem Schiefer und wickelte die l.eine um die Finnen. Er sah mich mit verlegener Neugier an und fragte sich vermutlich, ob er nicht etwas zu aggressiv im Wasser gewesen war. Dann bemerkte er die Tragödie, und ich sah ein kleines Grinsen; ich wartete auf einen Kommentar dazu, dass er nie auch nur ein einziges Surfboard zerbrochen hätte, dass ich nie hätte tun sollen, was immer ich getan hatte. Er behandelte seine Bretter wie Kinder und verlieh sie niemals. Als wir den ausgetretenen Pfad hochstiegen, wurde das Rauschen immer schwächer. Ich konnte meine Schritte hören. Das Zwitschern eines Vogels ertönte klar zwischen den Brombeersträuchern und Hemlocktannen, den Farnwedeln und Schachtelhalmen. Dann schien Vince sich zu fangen. Es gab keinen

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