Surf
Chose von neuem an.»
Das Ende des Winters kommt langsam, die Tage werden länger und die Dünungen kürzer, und du fragst dich, wann die gefürchteten auflandigen Nordwestwinde am Nachmittag einsetzen und die Brandung vom Frühlingsanfang im März bis zum Herbstanfang im September ruinieren werden. An einem Tag im späten Februar mit üppig grünem Gras, das noch nicht verbrannt war von der Sommersonne, rief ich meinen Onkel an und erzählte ihm von meiner Theorie, dass Surfen keine Geschichte sei, die man erzählen könne. Ich hatte ihn seit unserer Klettertour im vorangegangenen Sommer nicht gesehen, aber wir telefonierten von Zeit zu Zeit und tauschten uns über die Dünung aus. Ich habe nie jemanden mit solch müheloser Präzision über die Formen und das Verhalten der Wellen reden hören wie Jim, und obwohl er einen knallharten Sinn für Fakten hat, gründet sein Wissen über Wellen auf reiner Erfahrung.
«Nee», erwiderte Jim auf meine Theorie, «das stimmt irgendwie nicht. Die Geschichte darüber ist eigentlich die von der Suche nach dem Gral.»
«Wie der Heilige Gral?»
«Hör mal, eines Morgens wachst du auf mit einem Kater von all dem Mescal, den du in einem Loch in Ensenada gesoffen hast; du fragst dich, warum du unbedingt noch den zweiten Wurm essen musstest, und dann … fällt dir dieser merkwürdige Traum wieder ein, den du in der Nacht hattest. Ja, der Traum, in dem ein irrer Alter vorkam, der an der Bar saß und ohne Ende über perfekte, leere Wellen an irgendeinem geheimnisvollen Spot unten im tiefsten Baja California schwadronierte.» Er räusperte sich, und ich nahm einen Stift zur Hand. «In deinem Traum – war's überhaupt ein Traum?, überlegst du – greift der Alte nach einer Serviette und einem Bleistiftstummel und fängt an zu kritzeln; na du weißt schon: ungefähr zweihundert Meilen einen Sandweg runter, vielleicht links abbiegen bei dem gebogenen Kaktus, bläh bläh bläh, und als du dann aus dem Bett rollst, um nach Aspirin zu suchen, liegt da vor dir auf dem Boden die Serviette ! Er machte eine Pause, und wir lachten beide, dann fügte er hinzu: «Also fährst du am selben Morgen los, und nach einer tollen Fahrt findest du vielleicht perfekte Wellen, oder» – seine Stimme bekam einen spöttisch-geheimnisvollen Ton – «vielleicht auch etwas, wonach du gar nicht gesucht hast.»
Die andere Geschichte ist natürlich die von der großen Welle, die ich selbst schon im Kopf hatte. Seit Jahren sah ich mir Bilder von hohen Wellen an und stellte mir vor, sie seien einfach Riesenausgaben all der freundlichen kleinen Wellen, die ich geritten hatte – derselbe lockere Spaß, nur wesentlich mehr davon. Natürlich ist das falsch, und wenn die Suche nach guter Brandung der Suche nach dem Gral entspricht, dann ist die Geschichte von der großen Welle die vom Drachentöter. Der endlose Sommer ist vergessen, die ewige Jugend wird ignoriert, denn für den Drachentöter läuft alles in einem Augenblick der Bewährung zusammen, eine lineare Sage mit unabwendbarem Ausgang. Kein Surfer lebte näher an diesem Mythos als Greg Noll, den Fred Hemmings in seiner wunderbaren Biographie Da Bull, Life over the Edge beschreibt als «einen modernen Mann der Berge wie die legendären Charaktere der Rockies in den Tagen des Wilden Westens … Nicht die Art von Burschen, die sich was aus Quiches machen.» Noll erinnert sich an das Gefühl, «dass es keine von Gott geschaffene Welle gab, die ich nicht reiten konnte. Ich stellte mir die Männer vor, die zu Zeiten von König Artus in die Schlacht gezogen waren und nicht wussten, ob sie leben oder sterben würden, aber vor Zuversicht und Lebendigkeit strotzten …» Ken Bradshaw, ein weltberühmter zeitgenössischer Surfer großer Wellen, bemerkt: «Ich hänge derselben ‹Lehre› an wie Greg. Ich glaube, dass man genau so surfen sollte, wie es von Anfang an gedacht war: der Mensch gegen das Meer» (meine Hervorhebung). Die Riesenwelle, die Noll 1969 in Makaha ritt, steht bis heute für die Erfüllung des Archetypus, die ultimative Story. Noll war bereits legendär als Surfer von großen Wellen, Board-Hersteller und rundum wilder Mann, lebte in Südkalifornien und besaß eine sehr erfolgreiche Surfboardfirma mit -laden und produzierte Surffilme; er war eigens für diese Dünung nach Oahu geflogen, eine, die groß genug war, die seltene, legendäre Brandung von Makaha Point zu produzieren. «Das Wasser war fast so glatt wie Glas», erinnert sich Noll, «und
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