Susan Andersen
heute Nachmittag noch aufzuspüren.
Auf der anderen Seite bewegte sie sich nach dem Sturz auf die Straße bestimmt nicht so raffiniert wie sonst. Und vor allem nicht so schnell wie vorhin, als sie diese blonde Frau aus dem Weg gestoßen hatte, die ein bedauernswerter Kollateralschaden gewesen wäre. Wirklich wahr, dieses Mädchen wäre eine gute Bewerberin für die Olympischen Spiele.
Ungeduldig schüttelte er den Kopf. Jetzt war nicht der Zeitpunkt, um sich ablenken zu lassen. Der springende Punkt war, dass Capelli womöglich noch immer dort war, wo er sie zuletzt gesehen hatte.
Dieses Mal würde er sich nicht abschütteln lassen, sondern endlich in Erfahrung bringen, wo sie wohnte.
Und wenn es ihm heute nicht gelang, dann verdammt noch mal morgen oder übermorgen.
Für ihn tickte ab sofort die Uhr. Entweder würden die Bullen nach ihm suchen, oder Schultz würde erfahren, dass er seinen Befehl, das Mädchen in Ruhe zu lassen, nicht befolgt hatte.
Bevor Letzteres geschah, legte er sich lieber mit den Bullen an.
Auf dem Heimweg fragte Jason Poppy mehrfach, ob es ihr wirklich gut ginge. Das hätte ihr eigentlich nichts ausgemacht, weil es immer schön war, zu wissen, dass jemand sich um einen sorgte. Doch seinen Fragen folgte jedes Mal umgehend: „Hast du eine Ahnung, wer es gewesen sein könnte?“ Wenn sie verneinte, drängte er: „Denk nach Poppy. Es ist wichtig.“
Das wusste sie, verdammt noch mal. Aber sie kannte einfach niemanden, der einen Grund hatte, ihr etwas anzutun. Also lehnte sie irgendwann ihren Kopf gegen das Fenster und gab vor zu dösen, um seine Fragen nicht mehr beantworten zu müssen.
Denn wie beantwortete man Fragen, die nicht zu beantworten waren, wenn man sowieso nicht einhundert Prozent ehrlich sein konnte? Ja, es ging ihr körperlich gut – auf jedem Spielplatz bekam man schlimmere Kratzer zu sehen –, aber emotional?
Emotional war sie ein Wrack.
Sie wusste, dass sie ihre Eltern anrufen sollte, um ihnen zu erzählen, was geschehen war. Mit ihr und mit der Leiter. Aber sie konnte nicht. Denn ihre Mom würde sofort allen davon erzählen und kurz darauf mit ihrem Dad und hausgemachter Hühnersuppe in ihrer Wohnung auftauchen.
Wobei Letzteres gar nicht so schlecht wäre.
Aber auch Tante Sara – die in Wahrheit eigentlich gar keine richtige Verwandte war, aber trotzdem zur Familie gehörte – würde erscheinen, und zwar mit ihren Kristallen und Tarotkarten. Ganz zu schweigen von Onkel Bill, der seit dreißig Jahren Tante Saras Lebensgefährte und einer der liebsten Menschen der Welt war. Er würde Tante Sara auf jeden Fall begleiten – und ganz sicher die Zutaten für seine tellergroßen Brownies mitbringen, einschließlich einer gesunden Dosis Marihuana. Die Plätzchen würde er in Poppys Küche backen, um keine Zeit zu verlieren. Sie seufzte an der kühlen Fensterscheibe.
Normalerweise konnte Poppy das alles durchaus genießen, doch sie ahnte nur zu gut, wie Mr. Gesetz und Ordnung darauf reagieren würde. Onkel Bill würde sich wahrscheinlich schneller im Kittchen wiederfinden, als er „ruft einen Anwalt an“ sagen konnte.
Das war ihr letzter Gedanke, bevor sie tatsächlich einschlief. Sie wachte erst wieder auf, als Jason vor ihrem Haus hielt. Natürlich war er bereits ausgestiegen, bevor sie auch nur den Kopf gehoben hatte. Während er um den Wagen ging, wischte sie sich verstohlen mit Daumen und Zeigefinger über die Mundwinkel und dachte: Bitte, lieber Gott, lass mich bloß nicht gesabbert haben.
Er öffnete ihre Tür und ging vor ihr in die Hocke. „Möchtest du, dass ich dich trage?“
Jaaaaaaa. „Nein, natürlich nicht“, murmelte sie und kippte die Knie Richtung Tür, um die Beine hinauszuschwingen. Trotzdem rechnete sie halb damit, dass er ihre Bedenken einfach ignorierte.
Doch er zuckte nur mit den Schultern und richtete sich mit einer lässigen, sparsamen Bewegung auf. Dann reichte er ihr seine Hand mit den schmalen, langen Fingern. Als sie sie ergriff, versuchte sie die Haut-an-Haut-Hitze zu ignorieren, die sie von Kopf bis Fuß erfasste.
Denn das fehlte ihr heute gerade noch: einem Kerl, der entschlossen war, nichts mit ihr anzufangen, das Gefühl zu geben, dass sie ihn trotzdem wollte. Er hatte doch nun wirklich auf jede erdenkliche Weise, die einem Mann bei einer Frau zur Verfügung stand, erklärt, dass er Berufliches und Privates nicht vermischte. Überhaupt niemals.
Und sie hatte es kapiert.
Nie mehr würde ihr das passieren. Da konnte sie sich
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