Susannah - 02 Auch Geister haben hübsche Söhne
Voraussetzung, dass Tad bei Bewusstsein wäre.
Aber dazu würde es nie kommen, wenn ich es nicht schaffte, uns beide hier rauszuholen.
Abgesehen von Tads Atemgeräuschen und dem leisen Blubbern des Aquariums war es totenstill.
Das Aquarium.
Ich blickte zum Aquarium hinüber. Es nahm fast die komplette hintere Wand des Büros ein. Wie wurden die Fische eigentlich gefüttert? Das Becken war in die Wand eingelassen und nirgendwo ein Türchen zu se hen, durch das man etwas hätte reinschieben können. Also musste man aus dem Nebenzimmer drankommen.
Aus dem Zimmer, in das ich nicht gelangen konnte, weil die Tür abgeschlossen war.
Außer …
Noch dreißig Sekunden.
Ich sprang vom Bücherregal hinunter und ging zum Aquarium.
Der Fahrstuhl begann zu brummen. Marcus war im Anmarsch. Überflüssig zu erwähnen, dass ich böses Mädchen meinen Badeanzug keineswegs angezogen hatte. Allerdings schnappte ich ihn mir jetzt – und gleichzeitig auch Mr Beaumonts Bürodrehstuhl.
Das Summen des Aufzugs verstummte. Ich hörte, wie der Türknauf sich drehte, aber ich ging unbeirrt weiter. Die Rollen des Schreibtischsessels schabten über den Parkettfußboden.
Die Fahrstuhltür ging auf. Marcus trat ins Zimmer, sah, dass ich mich nicht umgezogen hatte, und schüttelte den Kopf.
»Miss Simon.« Er klang enttäuscht. »Wieso sind Sie so unkooperativ?«
Ich schob den Stuhl vor das Aquarium. Dann stellte ich einen Fuß auf den Stuhl und ließ den Badeanzug von einem Finger herabbaumeln.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Aber Totsein hat mir noch nie gut gestanden.«
Damit packte ich den Stuhl und schleuderte ihn mit aller Kraft gegen den riesigen Fischbehälter.
KAPITEL
20
D er Krach war ohrenbetäubend.
In der nächsten Sekunde ergoss sich ein Schwall Wasser, Glas und exotisches Meeresgetier über mich.
Die Flut schleuderte mich mit der Wucht eines Frachtzuges rücklings zu Boden und an die gegenüberliegende Wand. Atemlos und völlig durchnässt, lag ich einen Augenblick da und würgte Salzwasser hoch, von dem ich aus Versehen einiges geschluckt hatte.
Als ich die Augen öffnete, sah ich nichts als Fische. Große Fische, kleine Fische, alle wuselten durcheinander, klappten im verzweifelten Bestreben, ihr Leben um ein paar Sekunden zu verlängern, das Maul auf und zu und versuchten, in den fünf Zentimetern Wasser, die noch den Boden bedeckten, irgendwie zu überleben. Einer starrte mit Augen zu mir hoch, die fast genauso glasig und leblos waren wie die von Marcus, als er mir erklärt hatte, wie er mich umbringen wollte.
Plötzlich riss mich eine vertraute Stimme aus meinen verschwommenen Gedanken über Leben und Tod.
»Susannah?«
Ich hob den Kopf – und da stand Jesse, mit besorgter Miene.
»Oh. Hi. Wie bist du denn hierhergekommen?«, fragte ich überrascht.
»Du hast mich gerufen«, sagte Jesse.
Ich blickte zu ihm hoch und dachte nur, wie konnte ich jemals finden, dass irgendein Typ, sei es auch Tad, auch nur im Entferntesten so heiß sein könnte wie Jesse? Alles an ihm – von der winzigen Narbe an seiner Augenbraue bis hin zu den dunklen Haaren, die sich in seinem Nacken kräuselten – war einfach perfekt, als wäre Jesse das Modell, nach dem der Typus »umwerfend« erschaffen worden war.
Und höflich war er noch dazu. Hatte die guten alten Manieren der guten alten Zeit. Formvollendet hielt er mir seine Hand hin … seine schlanke, braun gebrannte, vollkommen Giftsumach-Ausschlag-freie Hand.
Ich griff danach und er half mir auf die Füße.
»Alles in Ordnung mit dir?« Wahrscheinlich kam es ihm seltsam vor, dass ich nicht so herummeckerte wie sonst.
»Ja, alles bestens.« Ich war zwar triefnass und stank nach Fisch, aber sonst ging es mir prima. »Ich hab dich gar nicht gerufen.«
Aus der entgegengesetzten Zimmerecke drang ein wütendes Knurren zu uns.
Marcus gab sich alle Mühe, auf die Beine zu kommen, rutschte aber immer wieder auf der Pampe aus Salzwasser und Fisch aus. »Was zum Teufel sollte das denn?«, keifte er.
Mein Gedächtnis war wie ausradiert. Wahrscheinlich weil ich mit dem Kopf an die Wand geschlagen war. Oh Mann, dachte ich. Gedächtnisverlust. Cool. Damit bin ich wohl raus aus dem Geometrie-Test morgen früh.
Dann fiel mein Blick auf Tad, der immer noch friedlich auf der Couch schlummerte, während ein exotisch gefärbter Fisch seine letzten Zuckungen auf seinen nackten Beinen vollführte, und plötzlich erinnerte ich mich wieder an alles.
Ach ja. Tads Onkel Marcus wollte uns
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