Susannah 4 - Auch Geister lieben süße Rache
erscheinen.«
Jesses Gesichtsausdruck wurde nur noch finsterer.
»Jesse, ich musste es doch tun«, sagte ich. »Maria hat
den Leiter des Geschichtsmuseums umgebracht - dem sie zuvor dein Porträt gestohlen hatte, um dich exorzieren zu lassen. Und ich bin mir sicher, dass sie auch schon seinen Großvater umgebracht hat. Maria und ihr Mann haben jeden umgelegt, der versucht hat, die Wahrheit über deinen Tod publik zu machen. Aber damit ist jetzt Schluss. Bald werden fünfunddreißigtausend Leute die Geschichte lesen können - oder noch mehr Menschen, sie soll nämlich auch auf der Online-Seite der Zeitung erscheinen. Maria kann unmöglich alle umbringen, die sie lesen.«
Jesse schüttelte den Kopf. »Nein, Susannah. Sie wird sich darauf konzentrieren, dich umzubringen.«
»Jesse«, entgegnete ich. »Sie kann mich nicht umbringen. Sie hat’s doch schon versucht. Und ich hab gute Nachrichten für dich: Ich bin echt schwer totzukriegen.«
»Vielleicht auch nicht.« Plötzlich hielt Jesse etwas in der Hand. Es war das Seil.
Nur dass es nicht mehr in das Loch hinunterhing, durch das ich hochgeklettert war. Jesse hielt das Ende in der Hand. Ein abgeschnittenes Ende.
Ein mit einem Messer abgeschnittenes Ende.
KAPITEL 16
E ntsetzt starrte ich das Seilende an.
Echt komisch, was mir als Allererstes in den Sinn kam.
»Aber Pater Dominic hat doch gesagt, dass Maria und Felix gläubige Katholiken wären!«, schrie ich. »Was treiben sie sich dann in der Kirche rum?«
Jesse war da wesentlich geistesgegenwärtiger. Er drehte mein Handgelenk so, dass er Pater Doms Uhr ablesen konnte.
»Wie viel Zeit haben wir noch?«, fragte er. »Wie viele Minuten?«
Ich schluckte. »Acht. Aber Pater Dom hat unser Haus doch extra deswegen geweiht, damit die beiden sich nicht mehr reintrauen. Und jetzt … jetzt dringen sie sogar in eine Kirche ein …«
Jesse schaute sich um. »Wir werden den Weg hinaus schon finden«, sagte er. »Keine Sorge, Susannah. Der Ausgang muss hier irgendwo sein. Wir finden ihn.«
Aber ich wusste, dass es unmöglich war. Es hatte auch wenig Sinn, überhaupt erst zu suchen. Der Nebel, der
den Boden bedeckte, war so dicht, dass wir keine Chance hatten, das Loch zu finden.
Nein. Susannah Simon, die bisher so schwer totzukriegen gewesen war, war im Prinzip schon mausetot.
Ich löste das Seil von meiner Taille. Wenn ich schon meinem Schöpfer begegnen sollte, dann bitte mit tadellosem Outfit.
»Es muss doch hier irgendwo sein«, murmelte Jesse und wedelte den Nebel beiseite in der Hoffnung, den Boden erkennen zu können. »Susannah, es muss doch hier sein.«
Ich dachte an Pater Dominic. Und an Jack. Der arme Jack. Wenn das Seil abgeschnitten worden war, musste da unten in der Kirche etwas wirklich Schlimmes passiert sein. Offenbar hatte Maria de Silva, die Pater Dom für eine gottesfürchtige Katholikin gehalten hatte, die es nie wagen würde, auf heiligem Boden einen Angriff zu starten, wesentlich weniger Skrupel, den Herrn zu beleidigen, als Pater Dom gedacht hatte. Hoffentlich ging es ihm und Jack gut. Schließlich hatte Maria mit mir ein Problem, nicht mit den beiden.
»Susannah.« Jesse starrte mich an. »Wieso suchst du nicht mit? Du darfst nicht aufgeben, Susannah. Wir finden den Ausgang. Ich weiß es.«
Ich sah ihn nur an, ohne ihn jedoch wirklich zu sehen. Ich dachte an meine Mutter. Wie würde Pater Dominic ihr meinen Tod erklären? Wenn er nicht schon längst selber tot war, meine ich. Wenn meine Leiche in der Basilika gefunden wurde, würde Mom logischerweise extrem misstrauisch werden. Schließlich setzte ich nicht
mal sonntags einen Fuß in die Kirche. Wieso sollte ich mich dann an einem Freitagabend dort rumtreiben?
»Susannah!« Jesse schüttelte mich so heftig, dass mir die Haare um die Ohren flogen. »Susannah, hörst du mir überhaupt zu? Wir haben nur noch fünf Minuten. Wir müssen die Öffnung finden. Ruf ihn herbei!«
Verwirrt schob ich mir die dunklen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Hey, cool, immerhin würde ich mir jetzt nie Gedanken darüber machen müssen, ob ich den richtigen Farbton fand, um im Alter meine grauen Haare abzudecken. Denn ich würde nie graue Haare bekommen.
»Wen herbeirufen?«, fragte ich.
»Den Torwächter«, stieß Jesse zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. »Du hast doch gesagt, ihr wärt Freunde. Vielleicht zeigt er uns ja den Ausgang.«
Ich blickte Jesse in die Augen. Und sah darin etwas, was ich noch nie darin gesehen hatte. Einen
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