Susannah 6 - Auch Geister sind romantisch
stimmt, ich sollte jetzt damit aufhören«, gab ich ihm recht. »Vor allem weil ich Ihnen sowieso nichts weiter zu sagen habe.« Ich rammte den Hörer auf die Gabel. Eine Sekunde später erschien Dr. Slaskis Pfleger mit sorgenvoller Miene im Türrahmen.
»Alles in Ordnung, Susan?«
»Alles okay«, sagte ich und stellte entsetzt fest, dass meine Wangen ganz nass waren.
Toll. Geheult hatte ich also auch noch.
»Ich frage nur, weil ich dich schreien gehört habe …«
»Schon gut«, unterbrach ich ihn. »Keine Sorge. Ich gehe jetzt.«
Ich verließ das Haus, ohne mich von Dr. Slaski zu verabschieden. Ihm hatte ich genauso wenig zu sagen wie Pater Dominic. Es gab nur noch eine Person, die Paul von seinem Vorhaben abbringen konnte. Und das war ich selbst.
Das zu wissen, verhalf mir allerdings nicht automatisch auch zu einem Plan, wie ich das genau anstellen sollte. Auf der ganzen Fahrt zurück zur Schule zermarterte ich mir das Hirn.
Erst als ich auf den Parkplatz vor der Mission Academy einbog, wurde mir die Tragweite von Pater Doms Worten richtig bewusst. Paul hatte nichts in der Hand, was ihn an den tragischen Tag von Jesses Tod zurückbringen konnte. Da war ich mir ganz sicher. Jesse war ermordet und seine Leiche verscharrt worden. Erst kürzlich war sie aufgetaucht. Seine eigene Familie dachte damals, er wäre durchgebrannt, um einer glücklosen Hochzeit zu entgehen.
Was hätte Paul haben können, was ihn an Jesses Todestag zurückbringen konnte? Nichts. Die einzigen Dinge, die aus der Zeit noch existierten, waren ein Miniaturporträt von Jesse, das bei mir zu Hause in Sicherheit war, und ein paar Briefe, die er an seine Verlobte geschrieben hatte. Aber die waren Ausstellungsstücke im Geschichtsmuseum von Carmel.
Paul hatte keinen persönlichen Besitz von Jesse, mit dem er ihm schaden könnte. Oder ihn retten könnte. Jesse hatte nichts zu befürchten.
Also hatte auch ich nichts zu befürchten.
Meine Erleichterung war jedoch nur von kurzer Dauer. Nicht die Erleichterung in Bezug auf Jesse – die blieb mir erhalten. Aber als ich heimlich in die Schule zurückschleichen wollte, wurde ich in meiner neu gewonnenen Zuversicht zutiefst erschüttert. An Paul lag es diesmal nicht. Schwester Ernestine war es, die all meine mühsam erkämpfte Gelassenheit zunichtemachte, gerade als ich mich unauffällig unter meine Mitschüler mogeln wollte, als wäre ich ganz normal mit ihnen auf dem Weg zur nächsten Stunde.
»Susannah Simon!« Die schrille Stimme der Stellvertretenden Direktorin scheuchte ein paar Tauben aus den Deckenbalken auf. Angsterfüllt flatterten sie davon. »In mein Büro, sofort!«
Zufällig war mein jüngerer Stiefbruder David in der Nähe. Als er Schwester Ernestines Stimme hörte, wurde er ganz blass – eine wahre Meisterleistung für ihn, der als Rotschopf ohnehin stets weiß wie ein Laken war.
»Suze?« Er wirkte panisch. Dazu hatte er auch guten Grund. Wenn ich Ärger bekam, lag das meistens nicht daran, dass ich zu spät zum Unterricht erschienen war. Meistens ging es eher um so etwas wie Sachbeschädigung … Und irgendjemand war am Ende bewusstlos, wenn nicht gar tot. »Was hast du denn jetzt schon wieder angestellt?«
»Keine Sorge«, gab ich zurück. Ich war etwas angesäuert, dass ich bei so etwas Banalem wie Schuleschwänzen erwischt worden war. Das kratzte doch etwas an meinem Problemkind-Ego.
Ich dackelte also Schwester Ernestine in ihr Büro hinterher. Im Gegensatz zu Pater Dom hat sie keine Auszeichnungen an den Wänden hängen. Sie gehört zu den Lehrern, die niemals einen Preis für besonderes pädagogisches Feingefühl gewinnen, denn Schwester Ernestine ist schlicht und ergreifend eine Tyrannin.
Aber ich kam dann doch mit einem blauen Auge davon. Sie hatte bemerkt, dass ich direkt nach der Mittagspause nicht am Religionsunterricht teilgenommen hatte. Ich erzählte ihr etwas von einem kleinen medizinischen Notfall und einem Besuch in der Apotheke, wegen der »roten Flut«, was bei ihr allerdings nicht so viel Eindruck machte wie bei Brad.
»Sie hätten ins Krankenzimmer gehen sollen«, sagte Schwester Ernestine knapp.
Als Strafe bekam ich einen Tausend-Wörter-Aufsatz über die Bedeutung des persönlichen Engagements für das Erzielen guter Leistungen aufgebrummt. Und ich wurde dazu verdonnert, bei der Auktion am Samstag beim Kuchenverkauf der achten Klasse mitzuhelfen.
Alles in allem hätte es schlimmer kommen können.
Dachte ich zumindest. Bis mir Paul Slater über
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