Susannah 6 - Auch Geister sind romantisch
dass ich meine Arme von Jesses Schultern nahm. »Bitte?«
»Dein Freund Paul«, sagte Jesse, ohne mich loszulassen. So schön das auch war, es lenkte mich doch sehr ab. Vor allem wo seine Lippen sich so nah an meinen bewegten. »Ich habe ihn vorhin in der Basilika gesehen und die war geschlossen. Was wollte er denn dort außerhalb der Öffnungszeiten? Er wirkt nicht gerade wie ein Anwärter für das Priesteramt. Es sei denn, er hätte auf einmal seine wahre Bestimmung gefunden …«
Ich riss mich von ihm los.
Das hätte jeder andere auch getan, der in diesem Moment so eine Panikattacke bekam wie ich.
»Susannah?« Jesse schaute mich aus sorgenvollen braunen Augen an, die einen Moment zuvor noch voller … na ja, Sorglosigkeit gewesen waren. »Alles okay?«
»Oh Gott …« Wie hatte ich nur so bescheuert sein können? So dermaßen naiv? Hier saß ich völlig ahnungslos und schaute Filme mit meinem Freund. Ich hatte gedacht, Paul müsste in mein Zimmer kommen, um in die Vergangenheit zu reisen. Ich war davon ausgegangen, dass es keine Alternative gab und dass er den Plan ohnehin nicht umsetzen würde, weil sein Großvater doch im Krankenhaus lag. Und weil er und Kelly ja jetzt ein Paar waren. Warum sollte er sich also noch für mich interessieren?
Paul empfand aber nichts für seinen Großvater. Er empfand für niemanden in seiner Familie etwas. Und ganz bestimmt empfand er nichts für Kelly. Warum auch? Kelly konnte ihn nicht verstehen, Kelly wusste gar nicht, wer er wirklich war.
Natürlich gab es noch einen anderen Ort, der in Jesses Jahrhundert schon existiert hatte. Ein Ort, den Felix Diego oft aufgesucht hatte.
Die Mission. Die Junipero Serra Mission, die in den 1700ern erbaut worden war.
»Ich muss weg«, keuchte ich, sprang auf und griff nach meiner Jacke. Ich hatte ein flaues Gefühl in der Magengegend. »Es tut mir wirklich leid, Jesse, aber ich muss …«
»Susannah!« Jesse war auch aufgestanden und hielt mich fast zärtlich, aber unerbittlich zurück. Jesse würde niemals so fest zupacken, dass er mir wehtat. Nicht mit Absicht. »Was ist los? Was meinst du? Was interessiert es dich, was Paul in der Basilika will?«
»Du verstehst das nicht«, gab ich zurück. Ich hatte das Gefühl, ich müsste mich gleich übergeben. Jesse schien mir das anzusehen. Er verstärkte seinen Griff an meinem Arm … und verzog gleichzeitig das Gesicht.
»Sag’s mir, querida! «, forderte er mit einer Stimme, die so hart war wie sein Griff.
Ich weiß nicht, was mich ritt, wirklich nicht – aber plötzlich sprudelte alles aus mir heraus.
Ich hatte ihm das alles gar nicht erzählen wollen. Nicht deswegen, weil ich ihn nicht in Sorge versetzen wollte, Gott nein. Nein, ich wollte es ihm aus ganz egoistischen Gründen nicht mitteilen: Ich hatte Angst, dass er genauso reagieren könnte, wie mein Vater und Pater Dominic es vorhergesehen hatten, nämlich dass er lieber eine zweite Chance bekäme, statt weiter ein Geist zu bleiben.
Ich berichtete ihm alles – von Dr. Slaskis Wissen bis zu Pater Doms telefonischem Kommentar gerade eben, einfach alles. Eine wahre Flut ergoss sich aus meinem Mund und schwemmte alles ans Tageslicht, was ich bisher zurückgehalten hatte. Am liebsten hätte ich mir die Worte wieder in den Mund zurückgesteckt, wenn ich gekonnt hätte.
Aber es war zu spät.
Ohne mit der Wimper zu zucken, hörte Jesse sich alles an. Er unterbrach mich nicht einmal dann, als ich ihm von meinem Deal mit Paul erzählte – von unseren heimlichen Mittwochssitzungen, auf die ich mich eingelassen hatte, damit Paul im Gegenzug meinen Lover nicht ins endgültige Jenseits beförderte.
»Aber jetzt will er dich nicht mehr vernichten, Jesse«, sagte ich schließlich verbittert. »Jetzt will er dich retten , dein Leben retten! Er will in die Vergangenheit reisen und Felix Diego davon abbringen, dich zu töten. Und wenn ihm das gelingt …«
»Dann werden du und ich uns niemals begegnen.« Jesses Stimme war ruhig, sein Ausdruck gelassen.
Nie hatte eine Aussage mich so getroffen wie diese. Es war wie ein Stich ins Herz.
»Genau«, sagte ich verzweifelt und nickte. »Verstehst du jetzt? Ich muss sofort dahin und ihn aufhalten!«
»Nein, querida «, antwortete Jesse, noch immer ruhig. »Das darfst du nicht.«
Die Panik hatte mein Herz jetzt vollständig im Würgegriff. Ich hatte Angst, es könnte gleich aufhören zu schlagen und ich würde auf der Stelle tot umfallen.
Jesse wollte leben. Mein Dad, Pater Dom, Dr.
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