Susannah - Auch Geister koennen kuessen
konnte ich das Meer riechen. Obwohl wir so weit oben auf dem Hügel wohnten, trug der Wind den salzigen Duft bis hierher.
Hatte Jesse vor seinem Tod auch hier am Fenster gesessen, hatte er auch das Meer gerochen wie ich? Bevor Maria de Silvas Liebhaber, Felix Diego, sich ins Zimmer geschlichen und ihn umgebracht hatte? Denn so musste es passiert sein.
Als hätte er meine Gedanken gelesen, tauchte Jesse plötzlich nur wenige Schritte von mir entfernt auf.
»Mann!« Ich presste mir eine Hand aufs Herz, das so heftig klopfte, dass ich dachte, gleich würde es zerbersten. »Könntest du bitte aufhören, mich so zu erschrecken?«
Er lehnte lässig an einem Bettpfosten, die Arme vor der Brust verschränkt. »Tut mir leid«, sagte er. Aber er sah nicht so aus, als würde es ihm leidtun.
»Hör mal«, sagte ich. »Wenn du und ich in Frieden zusammenleben wollen – sozusagen –, dann wird es Zeit, dass wir ein paar Regeln aufstellen. Regel Nummer eins lautet: Du schleichst dich nie wieder so unerwartet an mich ran.«
»Und wie bitte soll ich mein Auftauchen ankündigen?« Jesses Augen leuchteten ganz schön spitzbübisch für einen Geist.
»Keine Ahnung. Kannst du nicht mit ein paar Ketten rasseln oder so was?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Und was wäre Regel Nummer zwei?«
»Regel Nummer zwei …« Ich starrte ihn an. Das war nicht fair. Echt nicht. Tote Typen sollten einfach nicht so gut aussehen dürfen wie Jesse, der an meinem Bettpfosten lehnte und sich von der hereinströmenden Sonne das wie gemeißelt wirkende Gesicht streicheln ließ …
Er zog eine Augenbraue hoch, die mit der Narbe. »Stimmt etwas nicht, querida ?«
Ich konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Er wusste eindeutig nicht, dass ich Bescheid wusste. Über MDS, meine ich. Ich wollte ihn danach fragen, aber andererseits … wollte ich es irgendwie gar nicht wissen. Irgendwas hielt Jesse in dieser Welt fest und hinderte ihn daran, ins Jenseits hinüberzugleiten, und ich hatte so eine Ahnung, dass das etwas mit den Umständen seines Todes zu tun hatte. Aber da er offenbar nicht gerade scharf drauf war, darüber zu sprechen, sollte ich mich lieber damit abfinden, dass es mich einfach nichts anging.
So was erlebte ich zum ersten Mal. Normalerweise sind die Geister immer wie wild hinter mir her, damit ich ihnen helfe. Jesse nicht.
Jedenfalls im Moment nicht.
»Darf ich dich etwas fragen?«, begann er so plötzlich, dass ich schon wieder dachte, er hätte meine Gedanken gelesen.
»Was denn?« Ich stand auf.
»Letzte Nacht, als du gesagt hast, ich soll nicht zur Schule kommen, weil du einen Exorzismus vornehmen willst …«
Ich sah ihm ins Gesicht. »Ja?«
»Warum hast du mich gewarnt?«
Ich lachte erleichtert. Na wenn das alles war … »Weil ich wusste, dass du dann genau wie Heather weggesogen werden würdest.«
»Aber das wäre doch die perfekte Gelegenheit gewesen, mich loszuwerden. Dann hättest du dein Zimmer wieder für dich allein gehabt, genau wie du es dir immer gewünscht hast.«
Ich starrte ihn entsetzt an. »Aber … aber das wäre doch eine absolut miese Nummer gewesen!«
Er lächelte. »Verstehe. Es wäre gegen die Regeln gewesen.«
»Ja, genau.«
»Dann hast du mich nicht deswegen gewarnt, weil …« Er kam einen Schritt auf mich zu. »… weil du mich langsam ein bisschen gern hast oder so?«
Zu meiner großen Verärgerung fing mein Herz an, wie wild zu pochen. »Nein«, sagte ich stur. »Ganz sicher nicht. Ich halte mich nur an die Regeln. Die du übrigens verletzt hast, indem du zu David gegangen bist.«
Jesse tat einen weiteren Schritt auf mich zu. »Das musste sein. Du hattest mir eingebläut, nicht selber in die Schule zu gehen. Also hatte ich keine Wahl – wenn ich deinen Bruder nicht losgeschickt hätte, um dir zu helfen, wärst du jetzt vermutlich tot.«
Es war mir klar, dass er recht hatte, und das passte mir nicht. »Ach was«, winkte ich ab. »Ich hatte alles unter Kontrolle. Ich …«
»Du hattest gar nichts unter Kontrolle.« Jesse lachte. »Du hast dich ohne einen Plan da reingestürzt, ohne …«
»Ich hatte sehr wohl einen Plan!« Ich machte wütend einen Schritt auf ihn zu und auf einmal standen wir praktisch Nase an Nase voreinander. »Für wen hältst du dich eigentlich? Von wegen ich hatte keinen Plan! Hey, ich mach das seit Jahren, klar? Seit Jahren. Und bisher hab ich noch nie Hilfe nötig gehabt, von niemandem. Und erst recht nicht von jemandem wie dir .«
Er hörte
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