Susannah - Auch Geister koennen kuessen
wie eine Lady, die sich so ein Taschentuch in den Ärmel gesteckt hätte. Sie trug ein weißes Kleid mit Rüschen – zumindest sah es auf dem Schwarz-Weiß-Bild so aus –, glänzende schwarze Locken umrahmten ihr Gesicht und ein großes, antikes Schmuckstück hing ihr an einer Goldkette um den langen, schlanken Hals. Eine schöne, stolze Frau, die einen … ja … beinahe überheblich aus dem Bild heraus anschaute.
Ich sah David an. »Wer war sie?«
»Zu der Zeit, als das Haus hier gebaut wurde, muss sie das begehrteste Mädchen von ganz Kalifornien gewesen sein.« David nahm mir das Buch aus der Hand und blätterte darin. »Ihrem Vater, Ricardo de Silva, gehörte der größte Teil von Salinas. Sie war seine einzige Tochter und er stattete sie mit einer ziemlich großen Mitgift aus. Aber das war nicht der Grund, warum so viele Männer sie heiraten wollten. Zumindest nicht der einzige Grund. Damals galten Frauen, die so aussahen, als besonders schön.«
»Sie ist sehr schön«, sagte ich.
David sah mich an und lächelte belustigt. »Na klar doch.«
»Nein, ich meine das ernst.«
Als er sah, dass ich es wirklich ernst meinte, zuckte er mit den Schultern. »Na egal, jedenfalls wollte ihr Vater, dass sie so einen reichen Rancher heiratet, einen Vetter von ihr, der wohl unsterblich in sie verliebt war. Aber sie hatte ihr Herz an einen anderen verloren, an einen Mann namens Diego.« Er blickte ins Buch. »Felix Diego. Ein schlimmer Finger, dieser Kerl. Sklavenhändler. Zumindest hatte er damit seinen Lebensunterhalt verdient, bevor er nach Kalifornien kam, um in den Goldminen sein Glück zu machen. Und Marias Vater hatte für Sklaverei nichts übrig, genauso wenig wie für Goldgräber. Also gerieten Maria und ihr Vater in Streit über die Frage, wen sie heiraten sollte – ihren Vetter oder den Sklavenhändler –, und am Ende drohte ihr Vater, er würde sie enterben, wenn sie nicht den Vetter heiratete. Das brachte Maria zum Verstummen, denn Geld war ihr sehr wichtig. Sie hatte um die sechzig Kleider, und das in Zeiten, in denen die meisten Frauen nur zwei hatten, eins für die Arbeit und eins für die Kirche …«
»Und was ist dann passiert?«, unterbrach ich ihn. Es war mir egal, wie viele Kleider die Frau besessen hatte. Ich wollte endlich wissen, wo hier Jesse ins Spiel kam.
»Oh.« David schaute wieder in das Buch. »Tja, das Komische ist, am Ende setzte sich dann doch Maria durch.«
»Inwiefern?«
»Der Vetter tauchte auf der Hochzeit nicht auf.«
Ich blinzelte. »Tauchte nicht auf? Wie meinst du das?«
»So wie ich es sage. Er tauchte nie wieder auf. Keiner weiß, was mit ihm passiert ist. Er verließ seine Ranch ein paar Tage vor der geplanten Hochzeit, um rechtzeitig zur Trauung zu kommen, aber danach ward nie wieder etwas von ihm gehört. Nie wieder. Ende.«
»Und …« Ich konnte mir schon denken, wie die Antwort lautete, aber ich musste trotzdem fragen. »Was war dann mit Maria?«
»Die hat den Goldgräber-Sklavenhändler geheiratet. Natürlich nachdem sie eine gebührende Zeitspanne abgewartet hatten und so weiter. Damals gab es in solchen Situationen immer irgendwelche Regeln. Ihr Vater war so enttäuscht, dass der Vetter sich als so unzuverlässig herausgestellt hatte, dass er schließlich sagte, Maria könne tun, was sie wolle, und zum Teufel gehen. Also machte sie, was sie wollte. Aber zum Teufel ging sie nicht. Sie setzte mit dem Sklavenhändler elf Kinder in die Welt und nach dem Tod ihres Vaters nahm sie alle Geschäfte in die Hand und schlug sich dabei richtig gut …«
Ich hob eine Hand. »Moment mal. Wie hieß der Vetter?«
David suchte den Namen im Buch. »Hector.«
»Hector?«
»Ja.« Er sah noch einmal im Text nach. »Hector de Silva. Aber seine Mutter nannte ihn Jesse.«
Als er wieder hochblickte, muss David etwas in meinem Gesicht wahrgenommen haben, denn er fragte leise: »Ist das unser Geist?«
»Ja«, antwortete ich genauso leise. »Das ist unser Geist.«
KAPITEL
19
K urz darauf klingelte das Telefon. Hatschi rief quer durch den Flur, es sei für mich. Ich ging ran und hörte gleich Cee Cee am anderen Ende der Leitung quietschen.
»Miss stellvertretende Jahrgangssprecherin! Möchten Sie einen Kommentar abgeben?«
»Ähm … nein … Und wieso nennst du mich so?«, fragte ich.
»Weil du die Wahl gewonnen hast.« Im Hintergrund hörte ich Adam brüllen: »Herzlichen Glückwunsch!«
»Welche Wahl?«, fragte ich verdutzt.
»Na die zum stellvertretenden
Weitere Kostenlose Bücher