Susannah Bd.3 - Auch Engel sind gefährlich
sehen. Sie sahen nur uns beide, Michael und mich. Beide ganz offensichtlich fast zu Tode geprügelt. Natürlich mussten sie annehmen, dass wir uns das gegenseitig angetan hatten. Wem hätten sie sonst die Schuld geben sollen?
Als ich an Jesse dachte, begann das Herz in meiner lädierten Brust zu hämmern. Wo war Jesse? Ich hob den Kopf und sah mich ängstlich nach ihm um. Um mich herum wogte mittlerweile ein Meer von uniformierten Polizisten. War mit Jesse alles in Ordnung?
Pater Dominic missverstand meine Sorge. »Michael kommt wieder auf die Beine. Sein Kehlkopf wurde ziemlich in Mitleidenschaft gezogen, dazu hat er etliche Platzwunden und Prellungen davongetragen. Aber das war’s auch.«
»Hey.« Der eine Arzt richtete sich auf. Anscheinend sollte ich jetzt in den Rettungswagen geschoben werden. »Lass dich nicht unterkriegen, Kleines«, sagte er zu mir. »Du hast ihm echt Paroli geboten. Die Nummer vergisst er so schnell nicht wieder, glaub mir.«
»Hinter Gittern wird er auch genug Zeit haben, sich daran zu erinnern«, fügte sein Kollege mit einem Grinsen hinzu.
Und tatsächlich - als man mich in den Rettungswagen hob, konnte ich sehen, dass Michael nicht, wie ich erwartet hatte, ebenfalls in einen Krankenwagen verfrachtet wurde, sondern auf den Rücksitz eines Polizeiautos.
Seiner Haltung nach zu urteilen, hatte man ihm die Hände mit Handschellen auf den Rücken gefesselt. Trotz seiner schmerzenden Kehle redete er. Hektisch und, seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, aufgeregt redete er auf einen Mann ein, der einen Anzug trug und wohl von der Kriminalpolizei war. Ab und zu notierte der Mann sich etwas auf einem Klemmbrett, das er vor sich hielt.
»Siehst du?« Der erste Arzt grinste zu mir runter. »Der singt schon wie ein Kanarienvogel. Du musst keine Angst haben, dass du ihm am Montag auf dem Schulflur begegnen könntest. Das wird sehr, sehr lange nicht passieren.«
Ob Michael etwa ein Geständnis ablegte? Und wenn ja, worauf bezogen? Auf den Mord an den Engeln? Auf das, was er mit dem Rambler angestellt hatte?
Oder versuchte er dem Kripomann nur zu erklären, was ihm passiert war? Dass er von einer unsichtbaren, unkontrollierbaren Macht angegriffen worden war - von derselben Macht, die auch mir die Rippen gebrochen, den Kopf aufgeschlagen und die Lippe gespalten hatte?
Der Mann im Anzug sah nicht so aus, als würde Michaels Aussage ihm wahnsinnig spektakulär erscheinen. Aber ich wusste aus Erfahrung, dass Kripoleute nie so aussahen, egal was sie zu hören bekamen.
Kurz bevor die Türen des Rettungswagens geschlossen wurden, rief Pater Dominic mir zu: »Keine Sorge, Susannah. Ich sage Ihrer Mutter Bescheid, wo sie Sie finden kann.«
Ob er das als Trost gemeint hatte? Wie auch immer - es war mir definitiv kein Trost.
Aber als das Schmerzmittel endlich zu wirken begann, war mir das auf einmal herzlich egal, genau wie alles andere auch.
KAPITEL 19
S o hab ich mir meine Frühjahrsferien definitiv nicht vorgestellt«, sagte Gina.
»Hey.« Ich sah von der Cosmopolitan auf, die sie mir mitgebracht hatte. »Ich hab mich doch schon hundertmal entschuldigt. Was soll ich denn noch machen?«
Gina schien mein heftiger Ton zu überraschen.
»Ich sag ja nicht, dass ich keinen Spaß gehabt hätte«, lenkte sie ein. »Ich sage nur, so hatte ich mir das nicht vorgestellt.«
»Na klar.« Ich schleuderte die Zeitschrift beiseite. »Mich im Krankenhaus zu besuchen, muss echt ein Riesenspaß sein.«
Mit meiner zusammengeflickten Lippe konnte ich nur langsam reden. Deutlich artikulieren ging auch nicht. Ich hatte keine Ahnung, wie ich aussah: Meine Mutter hatte allen, einschließlich des Krankenhauspersonals, eingetrichtert, mich ja an keinen Spiegel kommen zu lassen. Das ließ in mir natürlich die Überzeugung wuchern, dass ich schrecklich aussehen musste.
Andererseits … angesichts dessen, wie ich mich schon über einen einzigen Pickel aufrege, könnte Moms Aktion ganz schlau gewesen sein. Wie ich mich anhörte, wusste ich aber eben sehr wohl - total bescheuert.
»Es sind doch nur noch ein paar Stunden«, sagte Gina. »Wenn die Ergebnisse von deinem zweiten MRT nichts Außergewöhnliches zeigen, darfst du nach Hause. Und gleich zum Strand. Und diesmal …« Sie schielte zur Tür des Badezimmers in meinem Raum rüber, um sicherzugehen, dass niemand lauschte. »Diesmal sind da keine Geister mehr, die uns alles kaputt machen.«
Da hatte sie wohl recht. Michaels Verhaftung war zwar nicht besonders
Weitere Kostenlose Bücher