Susanne Barden 02 Zeig, was du kannst
geschmackvoll eingerichtet.
»Himmel, das ist ja ein Fingerhut!« sagte Susy zu Connie, als die beiden ihr gemeinsames Zimmerchen besichtigten. Das war auch etwas Neues für die Mädchen. Hier mußten sie zu zweit in einem Raum schlafen. Susy hatte noch niemals so eng mit jemand zusammen gelebt und hatte ein wenig Bedenken, ob ihr das gefallen würde
- obwohl es sich um Connie handelte.
In dem kleinen Eßzimmer der Schwestern standen nur sechs Tische. »Ich komme mir wie Alice im Wunderland vor«, murmelte Connie, als sie sich zu ihrer ersten Mahlzeit hinsetzten.
»Ich auch. Ach, Connie, wie herrlich ist doch unser Krankenhaus. Erst jetzt kommt mir das so richtig zum Bewußtsein.«
Einige Schwestern aus ihrer Schule arbeiteten bereits zwei Monate in der Johannes-Klinik. Nach dem Abendessen fand eine lebhafte Begrüßung im Wohnzimmer des Schwesternflügels statt. Susy fragte ihre Mitschülerinnen nach der Arbeit aus. Der Kursus war folgendermaßen eingeteilt: zwei Wochen Dienst in den Krankensälen, ein Monat im Entbindungssaal, ein Monat im Säuglingszimmer und zwei Wochen Nachtdienst. Es wurde geplaudert und erzählt, bis das Gespräch sich schließlich den Babys zuwandte. Die Neulinge sollten bald erfahren, daß in der Johannes-Klinik jedes Gespräch früher oder später bei diesem Thema endete. Die Schwestern lächelten verzückt, wenn sie von den Babys sprachen. Ihre Gesichter wurden weich, ihre Stimmen klangen zärtlich. Sie sprachen endlos über Babys.
Susy war überrascht und ein wenig beklommen. Die Schwestern schienen ja geradezu besessen zu sein. Sie selber wußte sehr wenig von Kindern, besonders von ganz kleinen. Sie hatte nur gehört, daß sie rote Gesichter hätten und nicht sehen könnten. Bisher hatte sie sich nur wenig für Babys interessiert. Sie gehörten zur Geburtshilfe, und diese war ein Teil ihrer Ausbildung. Eingehender hatte sie sich mit diesem Thema noch nicht beschäftigt. Das Erlebnis, das sie am nächsten Morgen um neun Uhr hatte, traf sie also trotz der abendlichen Unterhaltung im Wohnzimmer ziemlich unvorbereitet.
Nachdem die neuangekommenen Schülerinnen über die Pflege junger Mütter belehrt worden waren, wurden sie in verschiedene Abteilungen der Klinik geschickt. Susy kam in den Saal mit den zwölf Betten.
Er unterschied sich durch nichts von anderen Krankensälen, nur erschien er Susy sehr klein. Die Patienten waren, wie Patienten immer sind. Sie unterhielten sich, schliefen, lasen, strickten und hatten diese oder jene Wünsche. Susy eilte geschäftig hin und her.
Sie achtete nicht auf die Zeit. Um neun Uhr war sie schon fast mit ihrer Arbeit fertig; sie füllte frisches Wasser in die Blumenvasen und stellte gerade eine Vase mit Rosen auf einen Nachttisch, als eine Veränderung im Saal vorging. Frauen, die gelesen hatten, klappten ihre Bücher zu. Strickzeuge wurden beiseite gelegt. Schlafende fuhren mit einem Ruck auf. Auch die Schwestern hielten in ihrer Arbeit inne. Eine Bewegung durchlief den Saal, eine Welle freudiger Erregung.
»Was ist denn los?« fragte Susy eine Patientin.
Die Augen der Frau wurden weich. »Horchen Sie mal!« Susy horchte. Eine Fahrstuhltür wurde aufgeschoben; aber gleichzeitig hörte sie noch andere Töne, die immer lauter wurden, lebhaft, fordernd, unmißverständlich - das empörte Schreien hungriger Babys. Susy wurde von der allgemeinen Erregung um sie her angesteckt und sah gespannt zur Tür hin.
Ein langer weißer Wagen wurde von einer Schwester vor die offene Tür geschoben. Gepolsterte Seitenwände verbargen seine rasenden Insassen. Susy ging näher und guckte in den Wagen hinein. Dort lagen strampelnd und schreiend zwölf gesunde Babys in einer Reihe. Sie lagen auf der Seite, und jedes geiferte gierig nach dem Hinterkopf des vor ihm liegenden.
»Oh!« rief Susy überwältigt.
Die Schwester, die den Wagen gebracht hatte, hob zwei Babys heraus, sah auf die silbernen Schildchen, die an kleinen Ketten um ihre dicken Hälse hingen, und ging in den Saal, unter jedem Arm eines. Nach kurzer Zeit kehrte sie zurück und hob wieder zwei heraus. In wenigen Minuten war es totenstill im Saal geworden.
Susy blieb an der Tür stehen und beobachtete die Mütter. In allen zwölf Betten herrschte Ruhe und Frieden. Die Mütter lagen reglos, die Augen auf die winzigen Köpfe neben sich gerichtet. Dunkelhäutige Gesichter von Italienerinnen, nervöse Gesichter von Jüdinnen,
Gesichter mit hohen Backenknochen von Irinnen und Skandinavie- rinnen - alle
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