Susanne Barden 02 Zeig, was du kannst
haben.
»Ob Sie es glauben oder nicht«, sagte eine dicke irische Scheuerfrau, »dies ist mein siebzehntes. Zehne leben. Ich komme jedes Jahr her, pünktlich auf die Minute. Da ist doch nichts dabei.«
Anders stand es mit einer dünnen verbitterten Frau. Ihr Mann mochte keine Kinder und besuchte sie niemals. Sie drückte ihr Baby krampfhaft an sich, als wäre es das einzige auf der Welt, was sie besaß. Und so war es wohl auch. In der zweiten Woche machte Susy bei den Privatpatienten Dienst, die im zweiten Stock lagen. Hier hatte sie ein lustiges Erlebnis.
Eine ihrer Patientinnen war eine liebenswürdige ältere Frau, die schon fünfzehn Jahre verheiratet war und fast die Hoffnung aufgegeben hatte, jemals ein Kind zu bekommen. Als es dann doch soweit war, konnte sie es vor Freude kaum fassen. Ihr Söhnchen war drei Tage alt, als Susy zu ihr kam. Sie hatte es noch nicht gesehen, denn sie war ziemlich krank gewesen.
»Habe ich wirklich einen Sohn?« fragte sie ungläubig.
»Ja, natürlich. Ich werde ihn sogleich herbringen. Heute bekommt er seine erste Mahlzeit.«
Frau Miller richtete sich erregt auf. »Ich werde ihn sehen? Oh, beeilen Sie sich, Schwester Barden. Ich kann es kaum erwarten.«
»Ich komme sofort. Aber Sie müssen sich ruhig hinlegen.«
»Ja, ja, ich will alles tun, was Sie verlangen. Schadet es dem Kind, wenn ich mich aufrichte?«
»Ach wo! Aber Ihnen schadet es. Nun, was ist denn los?«
»Ich - ich habe Angst. Ich weiß doch gar nicht, wie man mit einem Baby umgeht. Was soll ich tun?«
»Keine Sorge, ich zeige es Ihnen.«
Susy ging ins Säuglingszimmer. »Kann ich das Baby Miller bekommen?« fragte sie die Schwester, die gerade mit einem Baby unter dem Arm herauskam.
»Gewiß. Nehmen Sie es nur.«
Susy hob den acht Pfund schweren Jungen hoch, der prustend mit den Fäusten um sich schlug, aber nicht weinte, und brachte ihn zu Frau Miller.
Frau Miller sah ihr mit großen Augen entgegen. Sie stützte sich auf einen Ellenbogen und blickte atemlos in das winzige rote Gesicht.
»Oh!« rief sie klagend. »Wie häßlich er ist!«
»Er ist keineswegs häßlich«, widersprach Susy entrüstet.
»Aber - er sieht doch so merkwürdig aus.«
»Alle kleinen Kinder sehen so aus. Es ist ein schönes Baby.«
»Wirklich?«
Susy legte den Kleinen in ihre Arme. Sofort begann er gierig zu trinken.
Frau Miller sah mit Tränen in den Augen zu Susy auf. »Es ist mir gleich, wie er aussieht. Er ist mein Sohn.«
Susy lächelte. »Er ist eins unserer hübschesten Kinder.«
»Darf ich mich bewegen, während er hier ist?« fragte Frau Miller ängstlich und berührte zaghaft den zarten Flaum auf dem Kopf ihres Kindes.
»Aber natürlich! Er ist durchaus nicht zerbrechlich, sondern ein kräftiger junger Mann. Ich muß jetzt gehen. Läuten Sie bitte, falls Sie etwas brauchen.«
Susy ging in die Küche, um Kakao zu kochen. Ein paar Minuten lang blieb alles still. Plötzlich schrillte eine Glocke. Sie läutete andauernd und dringend. Frau Miller schrie aufgeregt: »Hilfe, Hilfe! Schwester Barden!«
Susy rannte zu ihr. Frau Miller hielt den Daumen auf dem Klingelknopf. Das Baby lag in ihrem Arm.
»Schwester Barden! Schwester Barden! Kommen Sie schnell! Er stirbt.« Frau Millers Gesicht war so weiß wie die Wand. Susy flog durchs Zimmer und beugte sich angstvoll zu dem Kind hinunter. Nach einem Blick in das kleine rote Gesicht richtete sie sich mit einem Seufzer der Erleichterung auf. »Es ist alles in Ordnung, Frau Miller. Er schläft fest. Was war denn los?«
»Er schläft!« Frau Miller sank auf ihr Kissen zurück. »Ach, Schwester Barden, ich habe mich ja so furchtbar erschrocken! Er trank. Aber plötzlich kam die Milch wieder aus seinem Mund heraus, und er schluckte nicht mehr. Ich dachte ...«
Susy lehnte sich gegen die Wand. »Erschrecken Sie mich bitte nicht noch einmal so!« Dann lachte sie. »Er hat zu schnell getrunken, Frau Miller, daher kam die Milch wieder hoch. Das hat nichts zu sagen. Die meisten Babys machen das. Ich vergaß Ihnen zu sagen, daß er nicht zu hastig trinken darf.« Sie nahm das dicke Baby auf. »Ungezogener Junge! So gierig zu sein!«
Frau Miller strahlte. »Ist er nicht wundervoll? Und so schlau! Nehmen Sie ihn jetzt lieber mit. Ich werde noch nicht so recht mit ihm fertig. Das wird mal ein Bürschchen! Er ist schlauer als seine
Mutter.« Sie lächelte stolz. »Was wird nur mein Mann sagen, wenn er hört, was unser Sohn angestellt hat!«
Im Entbindungssaal
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