Susanne Barden - 03 in New York
einfach in ein anderes Zimmer. Verstehst du?«
»Ja, Schwester.«
Ja, jetzt hatte die kleine Kröte endlich verstanden! Vielleicht war es nicht recht, das Mädchen zu bestechen, dachte Susy etwas unsicher. Aber wenn Effie erst einmal begonnen hatte, Alonzo richtig zu behandeln, würde sie auch dabei bleiben - erstens aus Gewohnheit und zweitens, weil sie selber es dann leichter hatte.
Das Geschrei in der Küche verebbte und hörte schließlich ganz auf. Nach einer Weile öffnete Susy die Tür. Ein kleinlauter verweinter Bube kam zum Vorschein.
»Komm herein, Alonzo«, sagte Susy, als ob nichts geschehen wäre. »Ich zeige Mary gerade ein Spiel. Willst du mitspielen?«
Alonzo nickte. Seine Augen standen noch voller Tränen. Er schien sich darüber zu wundern, daß sein Wiedererscheinen nicht mehr beachtet wurde, und sah fragend zu Effie hin.
Sie lief auf ihn zu, als fühlte sie ihre Füße schon von den neuen Rollschuhen beflügelt. »Komm!« sagte sie genau in Susys Ton. »Setz dich neben das Bett. Ich wette, du wirst bei dem Spiel gewinnen.«
Susy unterdrückte ein Lächeln. Es spielte eigentlich keine Rolle, ob der Mensch vier, vierzehn oder vierzig Jahre alt war. Wenn ihm die Aussicht auf eine Sternenkarte winkte, fiel es ihm stets leichter, sich zu einem vernünftigen Verhalten zu entschließen.
Wie man es auch ansieht
Drei Wochen sind keine lange Zeit, aber sie genügten, um Susys Ansicht über Bills Verhalten wesentlich zu ändern. Hatte sie nicht zu vorschnell aus seinem Brief gefolgert, daß er ihre Arbeit als unwichtig abtat? Eigentlich hatte er doch gar nichts davon geschrieben. Auch in den folgenden Briefen äußerte er sich nicht in diesem Sinne. Und warum sollte sie sich unnötig Sorgen machen? Wenn er in New York war, würde sie schon mit ihm einig werden. Jetzt hatte sie den Kopf mit anderen Dingen voll. Allmählich setzte sich ihr angeborener Optimismus durch, und sie war überzeugt, daß alles gut ausgehen würde.
Besonders liebte sie die Morgenstunden im Büro. Die Schwestern schwatzten und lachten während der Arbeit oder neckten Fräulein Farrar. Einmal beklagte sie sich mit gespielter Treuer darüber, daß sich niemand um sie kümmere. Die Schwestern meinten lachend, sie sei so klein, daß es kein Wunder sei, wenn sie übersehen werde. Aber am nächsten Morgen standen alle in einer langen Schlange vor ihrem Schreibtisch an, und jede überreichte ihr ein kleines Geschenk. »Für die liebe gute Lehrerin«, sagten sie, während der Haufen von Päckchen und Schächtelchen immer mehr anwuchs. Sie enthielten Süßigkeiten, Früchte und Kaugummi, Mickimäuse und gerösteten Mais; ja, sogar ein Körbchen mit Erdbeeren und ein hartgekochtes Ei waren dabei.
Nachdem Fräulein Farrar sich von ihrer Überraschung erholt hatte, machte sie eine spöttische Bemerkung. Aber die Schwestern wußten genau, daß sie sich freute. Susy glaubte sogar zu bemerken, daß sie gerührt war. Man spielt solche lustigen Streiche auch nur jemand, den man liebt und verehrt.
Mittags kehrte Susy nur selten ins Büro zurück, sondern aß meistens in einem kleinen Restaurant ihres Bezirks. Manchmal sehnte sie sich ein wenig nach der fröhlichen Buntheit der Ostseite. Aber die Probleme, mit denen sie zu tun hatte, waren hier die gleichen wie dort. Würde sie die junge verhärmte Witwe dazu überreden können, ihre beiden Kinder in ein Heim zu geben und für ein paar Wochen zu verreisen? Wie konnte sie der fünfzehnjährigen Minnie helfen, die von ihrem Mann verlassen worden war? Würde Jake endlich aufhören zu trinken und die Arbeit behalten, die Susy ihm besorgt hatte? Und was sollte sie nur mit John Kellys Baby anfangen?
Die Sorge um John Kellys Baby begann Susy ernstlich zu quälen. Herr Kelly, ein Schotte, hatte drei Kinder, zwei Jungen von neun und zehn Jahren und ein kleines Mädchen von sechs Monaten. Seine Frau war vor zwei Monaten gestorben. Eines Tages hatte er Susy mit unglücklicher aber entschlossener Miene auf der Straße angehalten und sie gebeten, das Baby irgendwo unterzubringen - »in einem netten Heim bei netten Leuten hier in der Nähe, so daß ich es jeden Tag besuchen kann«.
»Sie wollen, daß jemand es adoptiert?« fragte Susy.
»Aber nein!« erwiderte er ganz erschrocken. »Ich will nur, daß es in gute Pflege kommt. Ich kann drei Dollar die Woche dafür bezahlen.«
»Wollen Sie es nicht in ein Kinderheim geben?«
»Nein, nein. Es soll irgendwo hin, wo ich es jederzeit besuchen kann. Zu Hause
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