Susanne Barden - 03 in New York
kann ich es nicht behalten, weil ich tagsüber arbeite. Wenn ich abends nach Hause komme, schaff ich es gerade noch, die beiden Jungen zu versorgen. Sie brauchen nicht viel, denn sie sind am Tage in der Schule. Aber um das Baby muß sich eine Frau kümmern.«
»Wo ist es denn jetzt?«
»In einem Kinderhort. Aber was soll ich nachts mit ihm machen?« Er zupfte Susy verzweifelt am Ärmel. »Bitte, Schwester - Sie kommen doch überall rum. Sie müssen jemand für das Baby finden.«
»Ich will es versuchen«, versprach Susy. »Aber es kann eine Weile dauern.«
»Hoffentlich nicht! Ich bin schon ganz durcheinander. Aber ehe ich es in ein Heim gebe, will ich lieber noch warten.«
Trotz aller Bemühungen hatte Susy bisher noch niemand für das Kind gefunden. Herr Kelly ließ ihr keine Ruhe. Jedesmal wenn sie an der Bäckerei vorbeiging, in der er arbeitete, kam er herausgestürzt und drängte sie, dem Kind ein Heim zu verschaffen. »Als ob ich es aus dem Nichts hervorzaubern könnte, wie ein Zauberkünstler Kaninchen aus einem Zylinderhut zaubert«, dachte sie ein wenig bitter. Im August herrschte eine sengende Hitze, unterbrochen von heftigen Gewittern, so daß Susy abwechselnd in der Sonne briet und von Regenschauern durchweicht wurde. In dieser Zeit lehrte sie die Grundlagen der Gesundheitspflege, erneuerte Verbände, gab Medizin ein und beruhigte dazwischen Herrn Kelly. Sie kam kaum noch zu sich selber. Und während sie die Schwierigkeiten anderer Leute zu entwirren versuchte, vergaß sie beinahe, daß sie selbst in Schwierigkeiten war.
Ganz unerwartet wurde sie plötzlich wieder daran erinnert. Es war ein paar Tage vor Connies Hochzeit. Der Vormittag begann wie immer mit den üblichen Krankenbesuchen, von denen jeder der dringendste zu sein schien, bis der nächste an die Reihe kam. Nach dem Mittagessen rief Susy im Büro an und erkundigte sich, ob noch ein wichtiger Besuch zu machen sei.
»Gut, daß Sie sich melden!« sagte Fräulein Farrar geschäftig. »Hier wurde soeben angerufen und um den Besuch einer Schwester gebeten. Es scheint dringend zu sein.«
»Worum handelt es sich?«
»Genaueres kann ich Ihnen auch nicht sagen. Eine Frau Adam ist schwer krank; das ist alles, was ich weiß.« Sie nannte Susy die Adresse und hängte ein.
Susy zog den Hut tiefer in die Stirn, um ihre Augen vor der grellen Sonne zu schützen, hängte sich die Tasche über den Arm und machte sich auf den Weg. Bald hatte sie das Haus gefunden, in dem die Kranke wohnen sollte. Es sah sehr verkommen aus und lag in einer ärmlichen Straße, in der eine wahre Ofenhitze brütete. Die Stufen, die zu der Haustür hinaufführten, starrten vor Schmutz. Wo die Klingel gesessen hatte, befand sich nur ein Loch in der Mauer. Susy klopfte mehrere Male, ohne daß sich jemand meldete. Schließlich hörte sie schlurfende Schritte hinter der Tür. Dann wurde es einen Augenblick still. Susy spürte, daß jemand sie durch das Guckloch musterte. Endlich wurde die Tür geöffnet. Vor ihr stand ein kahlköpfiger Mann mit einer dicken Nase, kleinen entzündeten Augen und einem gewaltigen Wanst. Er war nur mit Hosen und einem Unterhemd bekleidet. Die Hosenträger hingen herunter, und sein Atem stank nach Whisky. »Was wollen Sie?« fragte er grob.
»Ich bin Krankenschwester und möchte Frau Adam besuchen.«
»Das geht nicht. Dies ist ein Privathaus. Sie haben hier nichts zu suchen.«
»Aber Frau Adam braucht mich«, erwiderte Susy. »Man hat nach mir telefoniert. Lassen Sie mich bitte hinein.«
Der gewaltige Körper des Mannes versperrte den Eingang. »Wie soll ich wissen, wer Sie sind? Haben Sie einen Ausweis?«
Susy zeigte auf ihre Tracht und ihre Tasche. »Genügt Ihnen das nicht? Lassen Sie mich jetzt herein.«
»Aber hier ist keiner krank.«
»Das werde ich entscheiden, nachdem ich Frau Adam untersucht habe.«
»Scheren Sie sich zum Teufel!«
»Ich denke nicht daran.«
»Das werden wir gleich sehen! Wenn Sie nicht in einer Minute verschwunden sind, rufe ich die Polizei an.«
Susy lachte. »Tun Sie das bitte. Ich werde hier warten.«
Der Mann zögerte ein wenig. Dann sagte er etwas freundlicher: »Seien Sie doch vernünftig, Kindchen! Ich will Sie ja nicht ins Gefängnis bringen. Wenn Sie jetzt endlich Vernunft annehmen, werd ich der Polizei nichts sagen.«
»Tut mir leid, aber ich muß Frau Adam sehen.«
»Na gut, wie Sie wollen!«
Er schlurfte zu einem Telefonapparat im Hausflur, hustete wichtigtuerisch und drehte sich noch einmal um.
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