Susanne Barden - 03 in New York
Gesichtern. Der eine tupfte mit dem schmutzigen Zeitungspapier auf sein Handgelenk, aus dem unaufhörlich Blut spritzte. Der andere sah untätig zu.
Die beiden bemerkten Susy erst, als sie mit zwei Sätzen neben ihnen war und das Handgelenk des verletzten Mannes unterhalb der Wunde umklammerte. Nun strömte Blut, statt zu spritzen. Sie riß den Arm so hoch, wie sie nur konnte. »In meiner Tasche ist ein Gummischlauch!« rief sie dem andern Mann zu. »Geben Sie ihn mir rasch!«
Er fummelte ungeschickt an der Tasche herum. Susy stand wie auf Kohlen. Endlich hatte er den Gummischlauch gefunden. Sie riß ihn wortlos aus seiner Hand. Für Höflichkeiten war keine Zeit, wenn ein Mensch zu verbluten drohte. Hastig schlang sie den Schlauch um seinen Arm und zog ihn mit aller Kraft fest. Der Blutstrom ebbte langsam zu einem Rinnsal ab und versiegte schließlich ganz. Sie atmete erleichtert auf und blickte dem Mann prüfend ins Gesicht. Er sah durchsichtig aus, und er zitterte am ganzen Körper.
»Setzen Sie sich«, sagte sie, und er ließ sich auf den Bordstein sinken. »Wie ist das passiert?« fragte sie den andern Mann.
»Wir luden Sodawasser ab, und da explodierte eine Flasche.«
»Legen Sie niemals Zeitungspapier auf eine Schnittwunde.«
Sie mußte die Wunde reinigen, um eine Infektion zu verhüten. Gott sei Dank hatte sie eine Flasche mit Seifenlösung bei sich! Aber wo sollte sie in der Eile Wasser hernehmen? Der Mann durfte nicht länger hier sitzenbleiben. Warum nicht Sodawasser nehmen? Kurz entschlossen zog sie eine Flasche aus einem Kasten und schlug die Kapsel ab. Während der halb bewußtlose Fahrer sich gegen sie lehnte und sich ein paar neugierige Passanten ansammelten, reinigte sie die zackige Wunde und verband sie notdürftig.
»Das genügt vorläufig«, sagte sie. »Und nun so schnell wie möglich ins Krankenhaus mit ihm! Danksagungen könnt ihr euch schenken.«
Der andere Mann half seinem Kameraden in den Wagen und fuhr rasch davon. Susy wischte sich das Gesicht mit einer Papierserviette ab. Puh! Was für ein ruhiger Nachmittag! Ausgerechnet heute mußte das alles passieren. Plötzlich lachte sie. »Was ich brauche, ist ein Rennpferd und eine Peitsche. Und dann im Galopp durch die Straßen New Yorks! Henry Street eilt zu Hilfe!«
Sie wusch sich mit dem Rest des Sodawassers die Hände, hängte ihre Tasche über den Arm und eilte weiter. Für ihre Krankenbesuche blieb ihr nun keine Zeit mehr. Das war auch nicht weiter schlimm, da es sich nicht um Schwerkranke handelte. Der neue Fall war wichtiger. Susy warf einen Blick auf ihre Besuchsliste. Die neue Patientin war eine Frau Yoland; sie wohnte im Viertel der Weißen.
Herr Yoland öffnete Susy die Tür. Er war eigens aus dem Geschäft nach Haus gekommen, um mit ihr zu sprechen. Seine Frau war nicht zu sehen, und er erzählte Susy ihre traurige Geschichte.
Vor neun Jahren hatten die Yolands ihr einziges Kind verloren und danach keine Kinder mehr bekommen. »Meine Frau brütet und brütet immerfort über diesem Unglück«, sagte der Mann. »Beinahe zwei Jahre lang hat sie um das Kind geweint. Danach wollte sie nicht mehr ausgehen. Sie sagt, die Menschen ängstigen sie. Seit drei Jahren hat sie das Haus nicht verlassen.«
»Ihre Hausarbeit scheint sie ordentlich zu machen«, meinte Susy und sah sich in dem gepflegten Wohnzimmer um. »Ja, das macht sie
- hat sie immer gemacht. Aber es dauert nur zwei Stunden am Tage. Dann sitzt sie hier und starrt auf die Goldfische - den lieben langen Tag.«
»Wollen Sie sie nicht in eine Nervenklinik bringen?«
»Daran dachte ich auch schon, aber der Arzt sagt, das habe keinen Zweck.«
»Wer ist Ihr Arzt?«
Er nannte den Namen eines Mannes, der der Pfuscherei verdächtig war. Das Gesundheitsamt beobachtete ihn seit langem, hatte ihm aber bisher nichts nachweisen können. Susy waren also die Hände gebunden. Sie durfte die Frau nicht in eine Klinik bringen, wenn der Arzt dagegen war. Ihr blieb nur übrig, ein wenig Nervenbehandlung im Hause zu versuchen. »Ob ich einmal mit ihr spreche?«
»Gewiß, Fräulein Barden. Wenn Sie mich entschuldigen wollen? Sie läßt sich nur schwer überreden, mit Fremden zu sprechen. Es wird eine Weile dauern.« An der Tür wandte er sich noch einmal um.
»Wenn Ihnen etwas einfallen sollte, wodurch ihr zu helfen ist - ich werden Sie auf jeden Fall unterstützen - was es auch sein mag.«
Während Susy in dem sonnigen Wohnzimmer wartete und auf die Goldfische blickte, versuchte sie
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