Susanne Barden - 03 in New York
sich in die Lage dieser Frau zu versetzen. Sie versuchte ihre hoffnungslose Verzweiflung nachzuempfinden, die Seelenqual, die zu einer Art geistigem Selbstmord geführt hatte. Frau Yoland hatte Angst vor Menschen; sie hatte Angst auszugehen. Und sie wünschte sich ein Kind. Da das Leben ihr keins schenkte, wollte sie auch nicht mehr leben. Ja, alles was sie braucht, ist ein Kind, dachte Susy.
»Aber ich kann schließlich kein Kind hervorzaubern. Ob vielleicht — ach!« Sie sprang auf. Ja, das war eine glänzende Idee - falls sie sich durchführen ließ. Zweifel stiegen in ihr auf. Vielleicht war es unmöglich. Sie mußte behutsam vorgehen.
Unsichere Schritte näherten sich der Tür. Susy hob den Kopf und erblickte eine kleine schmächtige Frau mit braunem Haar, die immerfort mit einem zusammengeknüllten Taschentuch über ihre zitternden Lippen wischte. Susy kam sich schrecklich groß und fast bedrohlich gegen diese zarte Gestalt vor. Schnell setzte sie sich hin. Gesellschaftliche Formen waren hier nicht am Platz. »Hoffentlich störe ich nicht, Frau Yoland«, sagte sie ruhig und lächelte gewinnend.
Frau Yolands Augen flackerten. »Guten Tag«, grüßte sie leise.
»Heute ist es furchtbar heiß«, fuhr Susy fort. »Könnte ich wohl einen Schluck Wasser bekommen?«
Es war ein Versuch. Entweder ließ die gewohnte Tätigkeit Frau Yoland ihre Furcht vergessen, oder sie ergriff die Gelegenheit, zu verschwinden und nicht mehr zurückzukehren. Susy gab sich Mühe, recht erschöpft und hilfsbedürftig auszusehen.
Die kleine Frau ging schweigend aus dem Zimmer und kam bald darauf mit einem Glas Wasser zurück.
Susy trank bedächtig. »Wie hübsch Ihre Goldfische sind!« sagte sie. »Ich habe noch niemals Goldfische gehabt. Machen sie viel Arbeit?«
»Nein«, antwortete Frau Yoland leise. »Sie machen sehr wenig Arbeit.«
Susy erkundigte sich interessiert nach den Gewohnheiten der Tierchen. Niemals hätte sie es für möglich gehalten, daß man so viel von Goldfischen sprechen kann. Und sie erreichte den gewünschten Zweck. Sobald Frau Yoland bei ihrem Lieblingsthema war, verlor sie ihre Nervosität. Sie sprach frei und ungehemmt und setzte sich nach einer Weile sogar neben Susy auf die Couch.
Susy hatte keine Zeit gehabt, sich zu überlegen, wie sie ihren Vorschlag anbringen sollte. Doch schien Frau Yolands Zustand nicht so hoffnungslos zu sein, wie sie befürchtet hatte. Menschen, deren Geist ernstlich gestört ist, lassen sich nicht so leicht aus ihrer Reserve herauslocken. Zwar war das Gesprächsthema mit Bedacht gewählt, aber Frau Yoland reagierte überraschend schnell. >Die Sache wird gar nicht so schwierig sein<, dachte Susy bei sich. >Ich glaube, ich kann direkt auf mein Ziel losgehen, nachdem sie entdeckt hat, daß sie mit mir sprechen kann.<
Nach kurzer Zeit sagte sie beiläufig: »Sie werden sich vielleicht fragen, warum ich zu Ihnen gekommen bin, Frau Yoland. Ihr Mann hat mich hergebeten, und ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen.«
Frau Yolands Gesicht nahm einen wachsamen Ausdruck an. Aber sie sagte nichts, sondern wartete schweigend ab.
»In meinem Bezirk wohnt ein Mann, dessen Frau kürzlich gestorben ist«, erzählte Susy. »Nun ist er mit drei Kindern allein. Das jüngste, ein kleines Mädchen, ist erst sechs Monate alt.«
»Ach, das arme Ding!« rief Frau Yoland mitleidig.
»Ja, es ist wirklich bedauernswert. Herr Kelly ist ein guter Mann und ein prächtiger Vater. Er will die Kleine durchaus nicht in ein Kinderheim geben. Vielmehr möchte er sie in einer Familie unterbringen, wo sich eine Frau um sie kümmert.«
Frau Yoland hörte gespannt zu, schwieg jedoch.
»Ich dachte mir nun, daß Sie vielleicht Lust hätten, das Kind aufzuziehen«, fuhr Susy fort. »Die Kleine ist sehr niedlich, rund und gesund mit Grübchen in den Knien. Aber das wird nicht lange so bleiben, wenn sie keine richtige Pflege hat, denn der Vater kann sie nicht ordentlich versorgen. Möchten Sie das Kind nicht zu sich nehmen, Frau Yoland?«
Auf Frau Yolands Gesicht war ein Lächeln erschienen, als Susy von den Grübchen in den Kinderknien gesprochen hatte. Jetzt sprang sie ganz erregt auf. »Darf ich es haben? Werden Sie es mir geben?«
»Nun, Herr Kelly bat mich, ein Heim für das Kind zu suchen. Ich glaube, ich habe das richtige gefunden.«
»Wann kann ich das Baby bekommen? Schon heute?«
Susy lachte über ihren Eifer. »Ich denke ja. Natürlich muß ich zuerst mit Herrn Kelly sprechen. Er wartet schon ganz
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