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Susanne Barden - 03 in New York

Susanne Barden - 03 in New York

Titel: Susanne Barden - 03 in New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen D. Boylston
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Mensch, dessen Mißgestalt vielleicht andere, aber nicht sie selber unsicher machte.
    Die Großmutter erzählte Susy zwischen Erstickungsanfällen ihre Geschichte. »Sie war als kleines Kind sehr krank und wurde dann so. Ich verlor fast den Verstand, als ich mir vorstellte, daß sie ihr Leben lang ein hilfloser Krüppel bleiben sollte. Die Ärzte sagten, sie könnten nichts für sie tun. Aber Fräulein Wald dachte anders.«
    »Lillian Wald?«
    Die alte Frau lächelte in der Erinnerung an vergangene Jahre. »Damals wohnten wir noch auf der Ostseite. Fräulein Wald hörte von Millie. Sie wußte immer, welche Leute Sorgen hatten. Sie kam zu uns und machte mir Mut. Sie brachte Millie in eine Schule für verkrüppelte Kinder. Sie sagte, wir sollten sie genauso wie die an- dern Kinder behandeln. Jetzt verdient Millie ein hübsches Stück Geld. Sie ist sehr geschickt mit den Händen und fertigt allerlei hübsche Dinge an, die sie verkauft.«
    Susy blickte ehrfurchtsvoll auf die Bucklige, die Lillian Walds Patientin gewesen war.
    »Sie wußte immer, welche Leute Sorgen hatten.«
    >Ja, so war sie. Und wir setzen ihr Werk fort<, dachte Susy. >Auch ich tue es. O Bill, warum willst du das nicht verstehen?<
    Endlich konnte Susy die Wohnung verlassen und wollte nun ihre Kranken besuchen. Als sie ein Stück gegangen war, sah sie einen etwa dreijährigen Negerjungen an den Häusern entlang schwanken. Obwohl die Straße im Schatten lag, hielt er eine Hand schützend über die Augen. Susy sah ihn scharf an und beugte sich zu ihm hinunter. »Hallo, Kleiner! Wie heißt du?«
    Der Junge blinzelte sie an. »Ich heiße Jim.«
    »Und wie weiter?«
    Er wußte es nicht.
    »Willst du mich mal in deine Augen gucken lassen, Jim?«
    Er nickte gefügig wie die meisten farbigen Kinder.
    Susy hob sein Gesichtchen zu sich und spähte in die großen schwarzen Augen. Sie waren unnatürlich verschleiert. »Grauer Star!« dachte sie erschrocken. »Und zwar in beiden Augen.«
    »Wo wohnst du, Jim?« fragte sie sanft.
    Er drehte sich um und zeigte auf eine Gruppe junger Negerinnen, die schwatzend vor einem Haus saßen. Susy nahm ihn an die Hand und ging auf die Frauen zu.
    »Wo ist Jims Mutter?«
    »Sie war eben noch hier, Schwester«, antwortete eine der Frauen. »Ich weiß nicht, wohin sie gegangen ist.«
    Susy ging ins Haus. Der Portier sagte ihr, Frau Johnson sei soeben in ihrer Wohnung gewesen, aber gleich wieder fortgegangen - vielleicht zum Lebensmittelladen an der Ecke.
    Der Lebensmittelhändler war sehr liebenswürdig. Ja, Frau Johnson war bei ihm gewesen, aber schon wieder fort. Susy sollte es mal beim Drogisten versuchen. Der Drogist hatte sie vorbeigehen sehen. Sie war weiter die Straße hinuntergegangen. Schließlich fand Susy die Gesuchte. Es war eine intelligente, gebildete junge Frau, der sie nicht viel zu erklären brauchte.
    »Er - er wird doch nicht etwa blind werden?« stammelte sie mit groß aufgerissenen Augen.
    »Nicht, wenn Sie sofort mit ihm zum Arzt gehen.«
    Die Frau schluckte. »Danke, Schwester, danke! Ich ahnte ja nicht
    Wir dachten, seine Unbeholfenheit würde sich auswachsen.
    Wenn ich das gewußt hätte .«
    »Machen Sie sich keine Sorgen«, beruhigte Susy sie. »Wir haben es noch zur rechten Zeit entdeckt. Er wird bestimmt gesund werden.«
    »Ich werde mir meine Unachtsamkeit nie vergeben. Wenn Sie es nicht bemerkt hätten —«
    Eilig ging Susy weiter. Sie mußte ein paar Krankenbesuche auslassen, denn der neue Fall ging vor. »Wenn Sie es nicht bemerkt hätten —« Darauf kam es eben an. Sie war dazu erzogen worden, die Augen offen zu halten. Die Henry-Street-Stiftung hatte sie dazu erzogen - das Institut, das sich für jedes menschliche Wesen in Not verantwortlich fühlte und sich dieser Verantwortung niemals zu entziehen versuchte. >Und doch meint Bill, daß ich einfach davongehen kann<, dachte Susy bitter.
    Bei ihrem nächsten Patienten hatte sie einen Verband zu erneuern. Sie tat es in fliegender Eile und hastete zu einer Frau, die an Gelenkentzündung litt. Ihr Weg führte sie durch eine ruhige kleine Nebenstraße. Auf der anderen Seite stand ein Lastkraftwagen. Dahinter hörte sie eine ängstliche Männerstimme rufen: »Mein Gott, Mike, es will nicht aufhören! Versuch es mal hiermit!« Susy sah, wie eine schmutzige Hand in den Rinnstein langte und ein Stück Zeitungspapier aufhob. Neugier oder Instinkt bewog sie, die Straße zu überqueren und hinter den Wagen zu gucken. Dort standen zwei Männer mit bleichen

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