Susanne Barden - 03 in New York
hatte. Sie spielte geistesabwesend mit ihrem Löffel und blickte schweigend auf die Tanzenden. Ihr rotes Haar stand wie eine Flamme gegen Silbergrau und Schwarz.
Bill hatte sich in seinen Sessel zurückgelehnt und starrte auf seine Lackschuhe. Das sanfte Lampenlicht hatte die Schatten unter seinen Augen ausgelöscht. Er sah jung aus, aber nachdenklich und ernst.
Susy musterte ihn heimlich. Armer Bill! Er hatte sich mit keinem Wort darüber beklagt, daß er anderthalb Stunden auf sie hatte warten müssen, sondern liebenswürdig gesagt, daß es ihm nichts ausgemacht hätte. In dem kleinen Haus war keine Zeit mehr für Erklärungen gewesen, und später in der Taxe hatte er nur von Springdale gesprochen. Der Ort liege im Herzen der weißen Berge, hatte er ihr erzählt - als ob Susy nicht in New Hampshire geboren war und das genau wußte! Das Land sei wild und zerklüftet und unfaßbar schön. Jetzt im Sommer leuchteten die kleinen Dörfer weiß und grün am Fuß der Berge, und große Wolkenschatten schwebten über blauenden Höhen. Im Herbst sei die Luft klar und kalt wie Quellwasser, und in den Tälern schwebten weiße Nebelschwaden. Wenn Susy nur einmal sehen könnte, wie ein Schneesturm aufkam oder wie der dichte Schnee über den Feldern flimmerte, die Steinmauern verhüllte und Fichten und Tannen in weiße Dreiecke verwandelte!
Susy erinnerte ihn nicht daran, daß sie so vertraut mit ihrem Heimatland war, wie es nur jemand sein konnte, und stellte hin und wieder eine Frage. Bill schien ganz vergessen zu haben, daß er ihr schon längst alles über Springdale erzählt hatte. Der Ort habe nur zweihundert Einwohner, berichtete er, aber mit den verstreuten Höfen und ein paar kleinen Dörfern, die zu der Gemeinde gehörten, erhöhe sich die Zahl der von ihm zu betreuenden Menschen auf achttausend. Einige Male nahm er einen Anlauf und schien etwas Besonderes sagen zu wollen, aber jedesmal brach er wieder ab. Und kein einziges Mal hatte er ihre Hand berührt.
Nun, nachdem sie mit dem Essen fertig waren, erstarb das Gespräch kläglich. Susy versuchte vergeblich, es wieder zu beleben. Schließlich sägte sie fragend: »Bill?«
Bill zögerte einen Augenblick. Dann richtete er sich auf und sah sie an. »Ja, wir wollen endlich zur Sache kommen. Gibt es einen besonderen Grund, warum wir nicht schon im nächsten Monat heiraten können?«
»Ja, es gibt einen«, antwortete Susy fest. »Die Schwestern der Henry-Street-Stiftung haben die moralische Pflicht, eine gewisse Zeit dabei zu bleiben, nachdem sie ausgebildet worden sind. Die Organisation bezahlt sie während der Ausbildung. Es wäre nicht fair von mir, fortzugehen, ehe ich nicht etwas dafür geleistet habe.« Sie machte eine kleine Pause und fuhr dann fort: »Die Henry-StreetStiftung ist keine gewöhnliche Organisation, Bill. Ich kann nicht nach sechs Monaten Ausbildung hingehen und sagen: Es hat mich sehr gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, aber nun trennen sich unsere Wege.«
Bill lächelte schwach. »Hm. Um mit Butschs Worten zu reden - da guck ich nicht durch. Warum kannst du das nicht?«
»Weil es eine Arbeit ist, aus der man nicht mittendrin fortläuft. Hör dir an, was zum Beispiel heute nachmittag los war.« Sie schilderte ihm den Verlauf ihres Nachmittags.
Er hörte aufmerksam zu, doch als sie zu Ende war, meinte er: »Gewiß, Darling, jeder Mensch weiß, daß die Henry-StreetSchwestern unerhört viel Gutes tun. Aber obwohl ich mich vor ihrer Glorie neige, kann ich nicht recht begreifen, was das alles mit uns zu tun hat.«
Susy errötete. Er machte es ihr wirklich nicht leicht. »Ich hoffte, du würdest es begreifen, wenn ich fortfahre.«
»Verzeihung! Also?«
»Dieser Nachmittag war typisch für die Tätigkeit einer Organisation, die keinen Erwerb anstrebt, sondern nur um das Wohl anderer
Menschen bemüht ist. Ihr ganzes Wirken ist von Güte, Verständnis und Gerechtigkeitssinn getragen.«
»Ja, und?«
»Nun, ich will hier nicht trübselig werden, aber ich finde, so etwas gibt es nur sehr selten auf unserer Erde. Und daher verdient Henry Street meiner Meinung nach etwas Besseres als Schwestern, die in dem Augenblick fortlaufen, wenn sie anfangen nützlich zu sein.«
Bill dachte ein wenig nach. Dann fragte er: »Wieviel Schwestern hat die Stiftung?«
»Ich weiß es nicht genau - ungefähr zwei- bis dreihundert. Es stehen immer eine Menge auf der Warteliste.«
»Mit anderen Worten - für die Armen von New York ist ausreichend gesorgt.«
»Ja,
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