Susanne Barden 05 - Jung verheiratet
denn?«
Evelyn Adams errötete unwillig, antwortete jedoch ruhig: »Fünfundzwanzig. Sie sieht fabelhaft aus und hat wundervolles rotes Haar.«
»Ein Rotkopf! Und dabei durch und durch edel!«
Joan grinste unverschämt. »Ich möchte ihr Traumbild nicht zerstören, aber ich glaube, Ihr Idol ist eine ganz gerissene Person, die es raus hat, sich ins rechte Licht zu setzen.«
Einen Augenblick war Evelyn sprachlos. »Hören Sie mal ...«, begann sie schließlich wütend, brach jedoch ab, als eines der Mädchen warnend rief: »Still! Da kommt Marianna!«
Joan hob die Augenbrauen. »Wer ist denn das?«
»Marianna Lawson. Fräulein Barden und Fräulein van Dyke haben sie in New York halb verhungert von der Straße aufgelesen und bei sich aufgenommen.«
»Das wird ja immer schöner!« spöttelte Joan. »Dieser Wohltäterin der Menschheit fehlt wirklich nur noch der Heiligenschein.«
»Sie halten sich wohl für sehr witzig«, rief Evelyn aufgebracht. »Echte New Yorker Angeberei, weiter nichts! Na, Fräulein Barden wird Ihnen das schon austreiben!«
»Das wollen wir mal sehen!« Aber niemand hörte mehr auf Joan, denn plötzlich eilten alle zu ihren Plätzen. Joan bemerkte zu ihrem Ärger, daß ihr Kinn zitterte. Sie preßte die Lippen zusammen, schlenderte betont nachlässig nach vorn und setzte sich auf den mittelsten Platz der ersten Reihe. Die Beine artig nebeneinandergestellt, die Hände fromm im Schoß gefaltet, mimte sie ein Bild unglaublicher Bravheit und Sittsamkeit. Die anderen Mädchen beobachteten sie - einige bewundernd, andere entrüstet.
Einen Augenblick war es ganz still im Klassenzimmer. Dann hörte man ein Rascheln und leichte Schritte. Alle Mädchen außer Joan drehten die Köpfe zur Tür. Susy trug ein kurzes dunkles Wollcape über der weißen Tracht. Die winzige weiße Haube schien auf den goldenen Locken zu schweben. Mit raschen Schritten ging sie nach vorn, stieg auf das Podium und setzte sich an das Pult.
Die Mädchen aus Springdale und Marianna glühten vor Stolz. Die Gesichter der Schülerinnen, die bereits mit Susy gesprochen hatten, leuchteten auf. Die übrigen starrten ihre junge hübsche Schulleiterin bewundernd an. Nur Joan Dittmar musterte sie kühl und abschätzend.
Susy lächelte den erwartungsvollen Mädchengesichtern vor ihr freundlich zu. Die neuen Schülerinnen zu begrüßen, machte sie keineswegs nervös. Sie war nur besorgt, ob es ihr auch gelingen werde, gute Krankenschwestern aus ihnen zu machen.
»Ich freue mich, Sie hier begrüßen zu können, und hoffe, daß Sie sich in diesem Haus wohl fühlen werden«, begann sie herzlich. »Da Sie ja die ersten Schülerinnen der Schule sind, fällt Ihnen eine besondere Aufgabe zu. Die meisten Klassen brauchen nur einer Tradition zu folgen; Sie aber müssen eine aufbauen.« Susy ließ die Augen über die zu ihr empor gewandten Gesichter schweifen. Als sie dem höhnischen Grinsen von Joan Dittmar begegnete, dachte sie >o je!<. Dann zuckte sie im Geist die Achseln. Als Leiterin einer Schwesternschule mußte sie sowohl auf übertriebene Bewunderung als auch auf heftige Ablehnung gefaßt sein; sie durfte sich weder durch das eine noch durch das andere aus der Fassung bringen lassen.
Nach ihren einführenden Worten sprach Susy darüber, wie sich die Schwesternschulen im Lauf der Zeit gewandelt hatten. »Früher war man nur darauf bedacht, gute Pflegeschwestern auszubilden. Heute werden die Schwestern auch dazu erzogen, als Glieder einer Gemeinschaft zu wirken, und hier in Springdale ...« Während Susy weitersprach, fragte sie sich, wer wohl das Mädchen in der ersten Reihe sei, das sie so skeptisch und ablehnend musterte. Im Geiste ging sie alle Fotografien durch, die von den Schülerinnen eingesandt worden waren. Dittmar! Ja, die mußte es sein. Ihre Eltern waren mit Elias Todd befreundet und hatten sie nach Springdale geschickt, weil sie befürchteten, daß ihre Tochter für das Studium in einem großen New Yorker Krankenhaus zu zart sei.
Susy machte eine kleine Pause und dachte: »Sie ist so zart wie ein Stück Stahl.« Dann fuhr sie in ihrer Rede fort. »Wenden Sie sich stets vertrauensvoll an Ihre Lehrerinnen, wenn Sie etwas auf dem Herzen haben - seien es nun persönliche oder berufliche Dinge. Sie werden immer ein offenes Ohr für Ihre Sorgen finden.«
Joan Dittmar lächelte höhnisch. Einen Augenblick war Susy richtig ärgerlich. Doch dann sah sie entschlossen über Joan hinweg auf die hinter ihr sitzenden Mädchen.
»Und
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