Sushi Für Anfaenger
arme Dylan. Der arme, treu sorgende, fleißige Dylan er hatte das nicht verdient. Der Betrug, die schreckliche Grausamkeit, der kalte Liebesentzug: Sie hatte seine Berührung nicht ertragen, seit Beginn ihrer Affäre.
Affäre . Der Atem stockte ihr in der Brust - sie hatte eine Affäre. Ihr wurde schwindelig bei der Ungeheuerlichkeit des Gedankens.
Wenn sie entdeckt würde? Wenn Dylan es herausfinden würde? Fast blieb ihr dabei das Herz stehen. Sie würde damit aufhören. Jetzt sofort.
Sie hasste sich, sie hasste das, was sie tat, und wenn sie damit aufhörte, bevor jemand es herausfand, könnte sie alles wieder gutmachen, und es wäre fast so, als wäre es nie geschehen. Von ihrer wilden Entschlossenheit beflügelt griff sie zum Telefonhörer.
»Ich bin s.«
»Hallo.«
»Es muss aufhören!«
Er seufzte. »Schon wieder?«
»Ich meine, ich will dich nicht mehr sehen. Ruf mich nicht an und komm hier nicht vorbei! Ich liebe meine Kinder, ich liebe meinen Mann.«
Nach einer knisternden Pause sagte er: »Okay.«
»Okay?«
»Okay, ich verstehe. Mach‘s gut.«
»Mach‘s gut?«
»Was soll ich sonst sagen?«
Sie legte den Hörer auf und fühlte sich unerwartet betrogen. Wo war die warme Belohnung für ihr edelmütiges Verhalten? Sie war unzufrieden, fühlte sich leer - und verletzt. Er hatte nicht protestiert. Und dabei war er angeblich verrückt nach ihr. Dieser Mistkerl!
Eben erst hatte sie überlegt, ob sie die Löcher in Dylans Socken stopfen sollte, in einem weiteren verzweifelten Versuch, ihm ihre Liebe zu zeigen. Aber als sie missmutig in die Küche ging, waren ihre guten hausfraulichen Vorsätze verflogen. Scheiß drauf, dachte sie, Dylan kann sich neue Socken kaufen.
Fast gegen ihren Willen rannte sie in den Flur, nahm den Hörer auf und presste die Wiederholungstaste.
»Hallo«, sagte er.
»Komm sofort her«, sagte sie mit tränenerstickter, wütender Stimme. »Die Kinder sind bei der Kinderfrau - wir haben bis vier Uhr.«
»Ich bin auf dem Weg.«
Als Ashling aus der Redaktion kam, war es halb neun. Ihr war fast übel vor Erschöpfung, und da ihr der zehnminütige Fußweg nach Hause zu lang erschien, nahm sie sich ein Taxi. Sie ließ sich in die Polster sinken und prüfte die Nachrichten auf ihrem Mobiltelefon. Es war nur eine drauf. Von Marcus. Er würde nicht zu ihr kommen. Irgendwas von einer Show, zu der er gehen musste. Gott sei Dank - sie atmete auf. Jetzt konnte sie Clodagh anrufen und dann sofort ins Bett gehen. Und in zwei Wochen, wenn alles überstanden war, wäre sie wieder ganz für Marcus da...
Als sie aus dem Taxi stieg, sah sie Boo. Er hatte ein blaues Auge.
»Was ist passiert?«
»Saturday Night Fever«, witzelte er. »Vor ein paar Tagen war da ein Typ, der wollte sich unbedingt prügeln. Das sind die Freuden des Lebens auf der Straße!«
»Das ist ja furchtbar!«
Dann sprach Ashling weiter, bevor sie sich bremsen konnte: »Darf ich dich mal fragen, warum du, ehm, obdachlos bist?«
»Eine Karriereentscheidung«, sagte er, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich kriege zweihundert Pfund am Tag mit Betteln zusammen, das kriegen alle, die betteln - hast du das nicht in der Zeitung gelesen?«
»Stimmt das?«
»Nein«, sagte er höhnisch. »Wenn ich Glück habe, sind es zweihundert Pence. Es ist die alte Geschichte: Ohne Wohnung keine Stelle, ohne Stelle keine Wohnung.«
Ashling wusste von der Theorie, aber sie hatte nie geglaubt, dass das wirklich so passierte.
»Aber hast du keine, na ja, keine Familie, die dir helfen kann? Eltern, zum Beispiel?«
»Ja und nein.« Mit einem dünnen Lächeln erklärte er: »Meine arme Ma ist nicht gerade bei guter Gesundheit. In geistiger Hinsicht. Und mein Dad hat eine sehr überzeugende Vorführung von dem Mann, der verschwinden kann, gegeben, als ich fünf war. Deswegen bin ich in Pflegefamilien aufgewachsen.«
»Oh je.« Ashling tat es Leid, dass sie mit dem Gespräch angefangen hatte.
»Na ja, ich bin ein wandelndes Klischee«, sagte Boo bedauernd. »Sehr peinlich. Und weil ich unbedingt bei meiner Ma sein wollte, habe ich mich bei den Pflegefamilien nie richtig wohl gefühlt, und das Schulsystem habe ich durchlaufen, ohne eine einzige Prüfung abzulegen. Selbst wenn ich eine Wohnung hätte, würde ich wahrscheinlich trotzdem keine Arbeit finden.«
»Warum kriegst du keine Wohnung über das Sozialamt?«
»Frauen und Kinder zuerst. Wenn ich schwanger werden könnte, wären meine Chancen besser. Aber kinderlose Männer können
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