Sushi Für Anfaenger
Handtasche war ein weißes, kastenförmiges Ding mit einem roten Kreuz drauf. Um das Outfit zu vervollständigen, bestand Kevin darauf, ihr ein Paar Palladiums von Joseph zu klauen - kleine Segeltuchschuhe mit Gummisohlen wie Lastwagenreifen. Er schaffte es im allerletzten Moment, die Schuhe zu besorgen, denn am Tag darauf wurde er gefeuert. Als Kopfbedeckung trug Lisa eine Art Piratenhut, der über und über mit Sicherheitsnadeln besteckt war - eine Nachahmung eines John-Galliano-Designs, selbst gemacht von Kevin, der Modedesigner werden wollte. Und Charlie war für ihr Haar verantwortlich. Haarteile waren der letzte Schrei; deshalb bleichte er ihr die Haare und befestigte einen hüftlangen blonden Zopf mitten auf dem Kopf. Als sie eines Abends im Taboo waren, wurde Lisa von jemandem von I-D fotografiert. (Zwar wurde das Foto in den sechs Monaten danach, in denen sie die Zeitschrift regelmäßig kauften, nicht gebracht, aber trotzdem.)
In der besetzten Wohnung gab es kaum Möbel, deswegen war die Aufregung groß, als sie in einem Container einen Sessel fanden. Sie trugen ihn zu fünft nach Hause und nahmen reihum darin Platz. Auch ihren Tee mussten sie nach einem Rotationsplan trinken, da sie zusammen nur zwei Becher besaßen. Es kam ihnen jedoch nie in den Sinn, noch welche zu kaufen - es wäre nur eine schreckliche Geldverschwendung gewesen. Das wenige Geld, das sie hatten, brauchten sie, um Klamotten zu kaufen, den Eintritt für die Clubs zu bezahlen, wenn sie nicht drum herumkamen, und für Alkoholika.
Nach und nach fanden sie alle Arbeit - Charlie als Friseur, Zandra in einem Restaurant, Kevin als Verkäufer bei Comme des Garçons, Geraint als Türsteher in einem top aktuellen Club und Lisa in einem Bekleidungsgeschäft, wo sie mehr Sachen klaute als verkaufte. Sie entwickelten ein wunderbares Tauschhandelssystem: Charlie machte Lisa die Haare, sie klaute für Geraint ein Hemd, Geraint ließ sie umsonst ins Taboo. Zandra verschaffte ihnen Tequila-Drinks in ihrem Restaurant. (Hier trat noch ein Untersystem des Tauschhandels in Funktion, denn der Barkeeper erlaubte Zandra, Drinks ohne Bon auszuschenken, wenn sie als Gegenleistung zu einfachen sexuellen Handlungen bereit war.) Der Einzige, der nicht in dem Kreislauf mitmachte, war Kevin, denn er arbeitete in einem sehr teuren und minimalistischen Geschäft, in dem der Gesamtbestand um fünfundzwanzig Prozent schrumpfen würde, wenn er nur einen einzigen Artikel klaute. Aber er hob das Image der Gruppe in dieser hektischen, Label-verherrlichenden Zeit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre. Niemand von ihnen gab Geld fürs Essen aus - wie den Kauf von Möbeln und Teebechern betrachteten sie das als Geldverschwendung. Wenn sie hungrig waren, gingen sie geschlossen in das Restaurant, in dem Zandra arbeitete, und ließen sich beköstigen. Oder sie gingen in ihrem Supermarkt auf Lebensmittelklau. Sie schlenderten in den Gängen umher, aßen beim Gehen und stopften die Verpackung oder die Bananenschale hinten ins Regal. Manchmal nahm Lisa auch Sachen mit nach Hause. Sie mochte das Prickeln, das sie dabei verspürte.
So ging das Leben weiter, achtzehn Monate lang, bis die wunderbare Verbundenheit in Streit und Zankereien mündete. War es anfangs noch aufregend, eine Reihenfolge für die Tassenbenutzung zu haben, so erwies es sich nach einer Weile als lästig. Dann beschloss Lisas Freund, der bei einer Zeitschrift arbeitete, das Risiko einzugehen und ihr eine Stelle bei Sweet Sixteen zu verschaffen. Obwohl sie keinerlei Zeugnisse und kaum eine Schulbildung hatte, war sie furchterregend gewieft. Sie wusste, was in war und was passe und wen man kennen musste, und sie sah immer aufsehenerregend, atemberaubend, im Trend-der-letzten-fünf-Minuten liegend aus. Kaum war etwas in Vogue abgebildet, schmückte Lisa sich mit einer zum Bruchteil des Preises erstandenen Variante davon, und was das Wichtigste war, sie trug die Sachen mit Überzeugung . Viele Mädchen trugen Ballonröcke, weil es in war, aber es machte sie verlegen und beschämt. Lisa hingegen trug ihren mit stolzem Selbstbewusstsein.
Damals wie heute war die Zeitschrift, bei der sie arbeitete, eine Billig-Produktion, und sie hatte Mühe, eine Wohnung zu finden, die sie sich leisten konnte. Der Unterschied lag darin, dass damals auch eine miese Stelle bei einer Zeitschrift fantastisch war, überhaupt einen Zeitschriftenjob zu haben, das war es, worauf es ankam. Und eine eigene Wohnung zu suchen war ein enormer
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