Sushi und Kartoffelbrei Ticktack
überflog mit den Augen rasch den Raum, um zu sehen, ob sie vielleicht jemand Bekanntes sah. Oder besser gesagt, ob jemand sie erkannt haben konnte.
Die Teilnahme an diesem Brunch für Frauen in der Medienindustrie gehörte zu ihrem Entschluss, endlich einmal Ernst zu machen, was ihre Karriere betraf. Ihr war vor kurzem klar geworden, dass sie, wenn sie schon Haus, Mann und Kinder nicht bekommen konnte, besser beherzt in die beruflichen Wasser springen und ihre Karriere mit Schwung vorantreiben sollte. Wenn es nicht schon zu spät war. Nachdem sie sich ein Ticket zu der Veranstaltung gekauft hatte, hatte sie Fiona dazu überredet, sie zu begleiten, damit sie nicht allein unter die weiblichen Piranhas geriet.
Die Gastrednerin auf dem Podium war bereits in voller Fahrt. Von ihrem Tisch aus konnte Clare lediglich ein exquisites, muschelrosa Kostüm unter einer mächtigen, hochtoupierten Betonfrisur erkennen, die das winzige, aber perfekte Gesichtchen und den schmächtigen, verhungerten kleinen Körper noch zierlicher erscheinen ließ.
Es war Gillian Sinclair, die frühere Fernsehgöttin und lebender Beweis dafür, dass man ab einem gewissen Maß an Berühmtheit nichts mehr tun musste, um sie sich zu verdienen. Ihr Ruhm hatte sich verselbstständigt wie eins dieser Aufziehspielzeuge.
Obwohl sie nicht länger beim Fernsehen arbeitete, geisterte sie nach wie vor über die Titelblätter von Zeitschriften, mit Interviews über ihre neueste Diät, ihren neuesten Ehemann oder darüber, sich keinesfalls das Gesicht liften lassen zu wollen. Letzteres war besonders raffiniert, denn wenn sie sich schließlich zu einem Lifting durchrang, würde das noch mehr Medieninteresse und noch mehr Titelstorys nach sich ziehen.
Nachdem sie jahrelang als seriöse Fernsehreporterin tätig gewesen war, hatte sie schließlich eine Talkshow mit dem Titel »Frauengeschichten« übernommen, wo so tief gehende Themen wie »Wann ist Ehebruch entschuldbar?« und »Scheidung – wie sichere ich mir meinen Anteil?« behandelt wurden. Als nach zehn Jahren die Zuschauerzahlen schließlich in den Keller gerutscht waren, hatte Sinclair den unvermeidlichen Rausschmiss mit Würde hingenommen (nur in etwa einer Hand voll Zeitschriften beklagte sie sich darüber, dass der Sender so unsensibel gewesen war, sie ausgerechnet zu einem Zeitpunkt zu feuern, als sie einen Knoten in ihrer Brust gefunden und die Ärzte ihr gesagt hatten, dass es Krebs hätte sein können, wenn es nicht gutartig gewesen wäre). Daraufhin zog sie durch die Lande und hielt Vorträge und machte mit einer neuen Bombe auf sich aufmerksam.
»Seit meinen Tagen beim Fernsehen«, zwitscherte Sinclair, »beobachte ich nun schon den zunehmenden Verfall der Moral in der Medienlandschaft. Ladys, sehen Sie sich doch einmal die heutigen Nachrichtensendungen oder Reportagen an. Es scheint mir, als gäbe es keine Untergrenze mehr im Ringen um Zuschauerzahlen, keine Story, über die die Medien nicht berichten würden, nur weil ihnen die Manieren fehlen, die die Medienindustrie in früheren Zeiten noch zu haben schien. Es kommt mir vor, als wäre der gute Geschmack im unnachgiebigen, gnadenlosen Kampf um Zuschauer zum Teufel gegangen.«
Fiona zog eine Grimasse und meinte flüsternd zu Clare: »Ha, nicht gerade das, was sie vor zwei Jahren gesagt hat, als sie noch ein Heidengeld für die Moderation einer der sensationslüsternsten Talkshows des Landes bekam.«
»Ist schon erstaunlich, wie einen die Dollars vom ewigen Streben nach Nettigkeit ablenken können«, flüsterte Clare zurück.
Fiona musterte Clare über ihre Kaffeetasse hinweg. »Geht es dir gut? Du siehst aus, als hättest du’ne Woche lang nicht geschlafen.«
»So fühle ich mich auch. Leo, dieser Bastard, ist gestern Abend doch nicht mehr aufgetaucht.«
»Oh«, äußerte Fiona, »was für eine Schande.«
»Das meinst du nicht im Ernst«, fauchte Clare.
»Aber sicher. Ich hasse es, wenn du wegen nichts und wieder nichts deinen Nachtschlaf verlierst.«
Die Kellner scharwenzelten lautlos herum und verteilten Platten voller Lachs- und Gourmetsalami-Sandwiches auf den Tischen im Ballsaal, dazu Körbchen mit Gebäck und Muffins.
Mit einem Stich des Bedauerns fiel Clare ihr hochheiliger Entschluss von heute Morgen, nach der gestrigen Wein-und-Cashew-Orgie am heutigen Tag keine einzige Kalorie über
ihre Lippen kommen zu lassen, ein. Andererseits, jeder wusste doch, dass fettreiche Nahrung das beste Mittel gegen einen Kater war. (Hatte
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