Sushi und Kartoffelbrei Ticktack
ich diesen überholten Begriff benutzen darf, einen gewissen Standard zu bewahren«, schwafelte Sinclair. Ihre dick mit Haarspray eingesprühte Toupierfrisur schien seltsam zentriert zu verharren, als sie nun den Kopf wandte und den Blick von einer Seite des Saals zur anderen schweifen ließ.
Ein Prusten aus der hinteren Reihe ertönte, und vereinzeltes Gelächter durchplätscherte den Saal.
»Es mag zwar schrecklich klingen«, erklärte Sinclair in einem Ton, der besagte, dass sie zu ihren Überzeugungen stand, egal wie »schrecklich« sie klangen, »aber ich glaube trotzdem, dass es so etwas wie den ›weiblichen Touch‹ gibt – den richtigen Ton, ja, wie etwas gemacht werden sollte. Das ist es, was ich den ›weiblichen Touch‹ nenne, und er ist ebenso im privaten wie im professionellen Bereich spürbar.«
»Und bei Fällen von sexueller Belästigung«, lästerte jemand. Die Bemerkung war ziemlich frech, da vor Jahren ein Revolverblatt eine Artikelserie mit dem Titel »Wahre Vorfälle« veröffentlicht hatte. Darin erklärte unter anderem ein junger Kameramann, dass er eines Abends nach einer feuchtfröhlichen Party, die der Sender am Rand einer jeden Saison
gab, in einem Lift von Sinclair, die mehr als angeheitert schien, ziemlich unverhüllt angegangen worden war.
Doch Sinclair stellte sich taub und fuhr resolut fort.
»Abschließend möchte ich Sie daher bitten, Ladys, als Journalistinnen und als Frauen, besser gesagt, als Frauen in der Medienindustrie, dafür zu sorgen, dass der Journalismus wieder die richtige, ja, ich scheue mich nicht, es zu sagen, inspirierende Profession wird, die er, wie wir alle wissen, sein kann. Ich danke Ihnen.«
Während hier und da dünner Applaus erklang, murmelte Clare Fiona bitter zu: »Und dafür kriegt die auch noch Geld.«
Fiona klatschte vergnügt. »Was wieder mal zeigt, was eine TV-Karriere bewirken kann. Sie hält jede Woche ein paar Vorträge, würzt sie mit ein bisschen Tratsch aus ihrer Talkshow-Zeit und verdient in der Zeit mehr Knete als du und ich in sechs Monaten.«
Clare seufzte. »Was nicht allzu schwer ist.« Sie hörte mit dem halbherzigen Klatschen auf und machte sich über ein Kleiemuffin her (ohne Butter, versteht sich).
»Woraus ich schließe, dass der Colonel deine Bitte um eine Gehaltserhöhung abgelehnt hat?«, erkundigte sich Fiona mitfühlend.
»Na, abgelehnt ist nicht der richtige Ausdruck. Ins Gesicht gelacht hat sie mir. Ihre ungefähren Worte waren: ›Wenn Sie diesen Job nicht wollen, ich kenne genug Leute, die dafür Schlange stehen.‹ Abschließend sagte sie dann noch, ich solle ›dankbar sein für die kleinen Dinge des Lebens‹.« (Der Colonel hatte die enervierende Angewohnheit, in Schlagzeilen zu sprechen, und wurde es nie müde, ihre abscheulichen Weisheiten allerorts an den Mann, oder besser gesagt, an die Frau zu bringen.)
Fiona hielt ihre Kaffeetasse hoch, damit der Kellner ihr nachschenken konnte. »Pech für dich. Aber sie hat nicht Unrecht. Schau dich doch mal um. Ich wette, die Hälfte der
Frauen hier sind freiberufliche Journalistinnen. Sie babbeln dir zwar was vor von wegen Freiheit und wie sie ihre Unabhängigkeit lieben, aber wenn du ihnen eine feste Stelle und ein wöchentliches Gehalt anbietest, dann sieht ihr Laptop zu Hause nur noch’ne dicke Staubwolke.«
»Kann sein, aber wären sie wirklich so scharf drauf, bei Verve zu arbeiten und ihr Leben damit zuzubringen, ›der Frau, die alles hat‹ zu erzählen, was dieses Jahr in und was out ist und ob es schicker ist, nach einer Dinnerparty dunkle oder bittere Schokolade zu servieren?«
Fiona rührte drei Teelöffel Zucker in ihren Kaffee. »Nun ja, man kann davon leben«, meinte sie schulterzuckend. »Keiner sagt, dass du dafür’nen Pulitzer bekommst. Obwohl, wenn ich an deinen Artikel in der letzten Ausgabe denke ›Aubergine ist das neue Schwarz‹, dann bin ich mir gar nicht mehr so sicher …«
Clare wedelte drohend mit einem Croissant vor ihrer Nase herum und beschloss dann, es zu essen (nur Marmelade, keine Butter). Fiona hatte Recht – wie üblich. Aber sie hatte so auf diese Gehaltserhöhung gehofft, um ihre aktuellen Kreditkartenschulden loszuwerden. Auf einmal fühlte sie sich noch niedergeschlagener als zuvor und schmierte kiefernmalmend ein dickes Stück Butter über die Marmelade auf ihrem Croissant.
Als die Kellner begannen, die Obstschalen abzuräumen, erkannte Clare, dass sie besser mit dem Beziehungen-Knüpfen zwecks Karriereschub
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