Svantevit - historischer Roman (German Edition)
Hereinbrechen der Nacht nicht mehr finden würde. Wann aber dann, wenn nicht heute?
Radik setzte sich auf einen Stein und nahm das Lederstück in die Hand, auf dem die Schrift des Alten zu erkennen war. Er besah sie sich genau, jeden einzelnen Buchstaben, wie so oft in den letzten Wochen. Jedes Zeichen kannte er auswendig. Oben Latein, unten Deutsch. Eine kurze Zeichenfolge, so hatte er festgestellt, war sowohl in der oberen, wie auch unteren Reihe identisch. Radik wusste nicht, dass dies seinen Namen in lateinischen Buchstaben darstellte.
Er hatte keine Ahnung, dass mit der Schreibschrift keine Dinge umschrieben oder symbolisiert werden, wie etwa mit einer Bildersprache, sondern hier ein System genutzt wurde, um gesprochene Worte direkt weiterzugeben. Hin und wieder glaubte Radik, in bestimmten Buchstaben die Darstellung eines Menschen oder Tieres, wenn auch sehr vereinfacht, sehen zu können. Aber da er wusste, dass diese Schrift den Satz ´Ich heiße Radik´ ausdrücken sollte, hielt er eine Ansammlung von Schlangen, Würmern, Vögeln und dickbäuchigen Menschen verstandesgemäß für ausgeschlossen.
Radik war derart in Gedanken versunken, dass er seine Umgebung erst wieder wahrnahm, als er sie eigentlich gar nicht mehr wahrnehmen konnte. Finsternis umgab ihn. Eine Wolkendecke verhinderte das Leuchten des Mondes und der Sterne.
Radik erhob sich und hatte den Entschluss gefasst, schnell nach Hause zu eilen. Doch er war sich nicht sicher, in welcher Richtung Vitt lag.
Er hatte keine Lust, im Freien zu übernachten, obwohl es nicht direkt kalt war.
Nachdem er sich eine Weile umgesehen hatte, entschloss er sich, langsam loszugehen. Wenn die Wolkendecke aufreißen würde, könnte man sich nach Norden orientieren. Er stieß gegen etwas Hartes und fiel. Das war der Stein, auf dem er gerade noch gesessen hatte.
Hier schien sich die Erde zu einem kleinen Hügel zu erheben. Oben lag ein großer Felsbrocken. Dieser mussten riesige Ausmaße haben, wie Radik tastend erfühlte. Dazwischen war ein schmaler Hohlraum.
Radik scharrte etwas lockere Erde zur Seite und konnte sich schließlich leicht durch die Öffnung zwängen. Seine Neugierde verhinderte das Aufkommen jeglicher Ängste. Wenn hier irgendwelche Tiere hausten, würden die sich mehr vor ihm fürchten und schnell Reißaus nehmen. Es war ohnehin stockfinster, ob in der Höhle oder davor. Wenn er es schon nicht mehr nach Hause schaffte, wollte er lieber hier übernachten, als im Freien.
Ein Aufrichten war in der Enge nicht möglich. In der Mitte, wo der Boden ausgehöhlt war, konnte man vorsichtig gebückt ein paar Schritte tun. Zu den Seiten hin musste Radik sich kriechend bewegen.
Er taste vorsichtig und fühlte zwei mächtige Steinblöcke, die den oberen Block wie ein Dach trugen.
Den Spalt, durch den Radik hineingelangt war, konnte er an einem leichten Luftzug spüren. Von dort drang jetzt auch immer mal wieder ein kurzer Lichtschein durch. Dem Mond gelang es demnach jetzt, zeitweise mit seinen Strahlen durch einige kleine Löcher in der Wolkendecke zu dringen.
Radik merkte, dass er von der Suche nach Womar und dem Herumlaufen am Tage doch sehr müde war und so legte er sich in eine Ecke.
Geräusche ließen ihn immer wieder aus seinem Dämmern hochschrecken. Tiere streiften draußen durch das Gras.
Auch die Kühle des Bodens, die mit der Zeit den Körper durchdrang, verhinderte einen tieferen Schlaf. In seinem Kopf klangen die Schreie des Küchenjungen wider, dem man am Morgen öffentlich in der Burg so lange den Rücken gepeitscht hatte, bis die Haut in Fetzen herunterhing. Ihn hatte man als denjenigen ausgemacht, der an der Feuersbrunst schuld gewesen war, weil er einige brennende Holzscheite nicht richtig beaufsichtigt hatte. Zuerst hatte Radik bei dem Anblick der vollzogenen Strafe Genugtuung empfunden, denn immerhin säße er ohne das Flammenmehr der letzten Nacht jetzt auf dem Rücken eines Pferdes, wie er es so lange herbeigesehnt hatte. Dann aber regte sich Mitleid in Radik, dass man den jungen Burschen für ein leichtes Versehen, wie es jedem unterlaufen konnte, halb tot prügelte. Da ein Feuer die gesamte Burg innerhalb kurzer Zeit gänzlich einäschern konnte, kannten die Gardisten in solchen Dingen aber keine Gnade.
Radik stieß mit dem Knie auf einen harten und spitzen Gegenstand. Er griff danach und wollte den vermeintlichen Ast wegwerfen, fühlte aber eine glatte, runde Oberfläche auf der einen Seite dieses Dinges, das nun sein
Weitere Kostenlose Bücher