Svantevit: Radiks Geschichte - Historischer Roman (German Edition)
Radik, sich auf das Pferd zu schwingen, wo er seinen Oberkörper matt nach vorne fallen ließ.
Berge von Silber
Eine Tür fiel zu. Radik schreckte hoch. Er lag in einem Bett und verspürte einen merkwürdig süßlichen Geschmack im Mund. Es war dunkel, aber durch die Tür, die einen kleinen Spalt offen stand, drang grelles Licht ins Zimmer. Demnach war es mitten am Tage. Was für ein Tag?
Radik blickte sich um und fühlte sich um Jahre zurückversetzt. Damals wusste er nach dem Erwachen jedoch nicht, wo er sich befand. Heute erkannte er die vertrauten Gegenstände in der Hütte des Alten. Und auch den süßlichen Geschmack, der ihm wiederum auf der Zunge lag, wusste er nun zu deuten.
Wie damals war es auch diesmal seine Schwester Rusawa, die er als erstes vernahm. Ihre Stimme kam von draußen immer näher und schließlich öffnete sich vorsichtig die Tür.
"Nur herein! Und öffne bitte die Fensterläden. Ich glaube, ich habe jetzt ausgeschlafen", meinte Radik freundlich, bemerkte dabei aber, dass ihm das Sprechen große Schmerzen im Oberkörper verursachte.
Rusawa fiel ihm um den Hals, nicht anders als vor gut vier Jahren, diesmal aber begann sie bitterlich zu weinen und zu schluchzen. Radik konnte sich denken, dass seine Familie ihn seit Wochen vermisst hatte. Und der Zustand, in dem er zurückgekehrt war, muss noch schlimmer gewesen sein, als seinerzeit, da Womar ihn aus dem Eisloch gezogen hatte.
"Nun bin ich ja wieder da und fühle mich auch schon ganz gut. Also kein Grund zur Traurigkeit", flüsterte Radik und strich ihr über das Haar.
Rusawa wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, ohne dabei aber den fest um Radiks Hals gelegten Arm wegzunehmen.
"Du warst aber ganz schlimm verletzt und krank", meinte Rusawa schließlich, "Ich habe sogar gesehen, wie Womar geweint hat, natürlich heimlich, damit ich es nicht bemerke", setzte sie flüsternd hinzu.
"Doch du hast mich tapfer mit Honig gefüttert, stimmt´s? Das hat mich wahrscheinlich gerettet."
Rusawa begann stolz zu lächeln und machte sich daran, die verriegelten Fensterläden zu öffnen. Radik wollte ihr den Eindruck vermitteln, dass mit ihm wieder alles in Ordnung sei und richtete sich schnell auf, um ihr behilflich zu sein. Ein gellender Schmerzesschrei entfuhr ihm. Er sackte zurück auf das Bett, die Hand auf die Rippen gelegt, wo er seinen Oberkörper mit einem festen Tuch umwickelt fühlte.
"Ich glaube, diese Burschen haben mich halb totgeschlagen."
" Halb tot ist ziemlich stark untertrieben!"
Womar stand in der Tür. Die Sorgen der letzten Tage waren ihm anzusehen, auch wenn er nun freudig strahlte.
"Leg dich wieder hin! Jetzt ist wirklich keine Zeit, hier den Helden zu spielen", fügte er streng hinzu, "Als vor fünf Tagen dein Hengst plötzlich vor dem Haus stand und du regungslos nach vorne niedergesunken lagst, dachte ich ernsthaft, da wäre kein Funken Leben mehr in deinem Körper."
Radik streckte sich wieder im Bett aus, die Schmerzen schwanden langsam.
"Wer hat dich nur so übel zugerichtet? Dein Körper ist übersät mit Blutergüssen, zudem sind zwei deiner Rippen gebrochen. Auch hattest du eine üble Wunde auf dem Kopf. Zum Glück ist der Knochen nicht verletzt."
"Das musste Womar sogar nähen!" ergänzte Rusawa.
Radik tastete seinen Schädel mit der Hand ab und konnte nur mit Mühe einen erneuten Schrei unterdrücken, als seine Finger besagte Stelle berührten.
"Dein Zustand war vor allem deshalb so bedrohlich, weil dein Körper völlig ausgezehrt war. Anscheinend hattest du Tage lang nichts gegessen."
"Nachdem mich diese Kerle recht ordentlich verprügelt hatten, habe ich eine ganze Weile im Gras gelegen. Der morgendliche Tau, der meine Lippen benetzte, war das einzige, was ich zu mir nehmen konnte. Alles war wie ein Traum. Merkwürdigerweise war mir auch völlig egal, ob ich sterben würde. Erst ein feistes Weib, das mich für tot hielt und meine Sachen durchwühlte, hat mich aus dieser eigenartigen Starre erweckt", erklärte Radik.
"In der Fremde kann es sehr gefährlich sein", bestätigte Womar.
Nach einer Weile kam auch Radiks Bruder Ivod in das Haus. Er trug einige Bündel unter dem Arm, die wie Stroh aussahen.
"Dein Bruder ist mir eine große Hilfe", sagte Womar, nachdem sich die Brüder freudig begrüßt hatten, "Nie sah ich jemanden so geschickt mit den Fingern werkeln. Er fertigt die Bienenkörbe in nur der halben Zeit, die ich in meinen besten Jahren brauchte und am Ende sind sie besser als alles,
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