Svantevit: Radiks Geschichte - Historischer Roman (German Edition)
wahrscheinlich vor kurzem noch Kinder gespielt. Beim näheren Hinsehen entdeckte Radmar einen kleinen Haufen mit Muscheln. Er suchte sich die schönsten Exemplare heraus und lief zu seiner Mutter, um ihr seinen Fund zu zeigen. Aber deren Blick wirkte entrückt. Sie streichelte ihm versonnen lächelnd über das Haar. Doch schon sah Radmar, wie ein weiteres Boot anlandete und lief aufgeregt davon.
Es gab keinen Zweifel daran, dass sich die Ranen auf den Überfall vorbereitet hatten. Die Dörfer waren leer, jedermann hatte sich in die Burgen oder die Wälder zurückgezogen. Die Dänen fanden auch keinerlei größere Vorräte mehr, welche man hätte zur Versorgung der Truppen verwenden können.
Bischof Absalon von Roskilde hatte die militärische Führung. Der dänische König Waldemar, stets dicht umdrängt von seiner Leibgarde, ließ ihm, wie so oft, freie Hand. Im Tross weilten auch die beiden pommerschen Fürsten Kasimir und Bugislaw.
Nach ihrer Landung teilten sich die Truppen. Der größte Teil zog zur Burg Arkona, hielt sich also nach Norden. Knapp hundert Männer machten sich in Richtung Osten auf. Ihrer Ausrüstung nach hätte man sie für Zimmerleute halten können. Sie führten Sägen, Äxte und Seile mit sich. Und in der Tat bestand ihre Aufgabe zunächst auch darin, Holz einzuschlagen und dann fachmännisch zu verbauen.
Dies alles geschah unter großem Zeitdruck. Wer die Burg Arkona vom übrigen Teil der Insel auf dem Landweg erreichen wollte, musste eine schmale Landenge durchqueren, welche zudem noch recht morastig war. Entsatztruppen für die bedrängte Burg im Norden würden also dort entlangkommen. Die Männer sollten ein Bollwerk aus Sperren und Hindernissen errichten, welches sich dann auch gut gegen eine Überzahl von Angreifern verteidigen lassen würde. So konnten sich die Haupttruppen zunächst gegen die Tempelburg wenden, ohne Überfälle in der Flanke oder im Rücken fürchten zu müssen.
"Paßt auf, wo ihr hintretet!", mahnte Bischof Absalon seinen König, der ins Gespräch vertieft sehr nahe an einen Kessel mit kochendem Erdpech getreten war.
"Das stinkt ja abscheulich."
"Die Männer brauchen es zum Bau der Belagerungswaffen. Seht euch vor, es ist sehr heiß! Wenn man dort hineinstürzt …"
"Kein schönes Ende", sagte König Waldemar, "Welcher Heilige starb noch gleich in einem Kessel mit siedendem Öl?"
"Der Heilige Vitus, auch Veit genannt", gab Absalon zur Antwort und lachte.
"Ist die Vorstellung so belustigend, mich in einen Kessel mit Erdpech stürzen zu sehen?"
"Nein, nein. Mir fällt nur gerade ein, dass es ein Gerücht gibt, nach welchem die Ranen in ihrem Gott Svantevit eigentlich den Heiligen Veit verehren."
"Wie soll das angehen?", wollte Waldemar wissen.
"Irgendwann gelangten die Gebeine des Vitus in das Kloster nach Corvey. Dort wurde die Reliquie hoch geschätzt", erklärte der Bischof, "Nun ergab es sich vor weit über hundert Jahren, dass Mönche aus Corvey zu den Ranen kamen, um ihnen den rechten Glauben näher zu bringen. Dabei redeten sie offenbar mehr über ihren Heiligen Vitus, als über den Herrn Jesus Christus selbst. Die Ranen zeigten sich als willige Schüler und verehren seitdem den Heiligen Veit, wie der Name Svantevit bezeugen soll."
"Was hältst du davon?"
Absalon lachte erneut.
"Es ist natürlich Unfug! Vermutlich hatten die Mönche aus Corvey nur Angst davor zuzugeben, dass ihre Mission gänzlich gescheitert ist."
"Hat der Svantevit nicht mehrer Köpfe?", fragte Waldemar, "Vielleicht sollte man sich in Corvey mal die Gebeine des Heiligen Vitus anschauen, insbesondere die Schädelknochen."
"Versündigt Euch nicht mit solchen Scherzen!"
"Es wird auf jeden Fall Zeit, dass bei den Ranen wirklich der rechte Glauben Einzug hält. Vielleicht solltest du zu Veit beten und seine Unterstützung erflehen. Es kann ihm doch keine Ruhe lassen, mit diesem Heidenkult in Verbindung gebracht zu werden. Wann ist eigentlich der Festtag des Heiligen Vitus?"
"Mitte Juni", antwortete Absalon nach kurzem Überlegen, "Am 15. des Monats"
"Das trifft sich gut. Bis dahin sind es nur noch wenige Wochen. Höre also meinen Befehl! Am Tag des Heiligen Veit wird in diesem Jahr das Kreuz als Zeichen des Herrn in der Burg Arkona aufgerichtet stehen!"
"So soll es geschehen!" pflichtete Bischof Absalon eifrig bei.
Radik war froh, Granza bei sich zu haben. Er wusste, dass ihm das Bevorstehende viel
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