Sven Larsson Bd. 2 - Unter der Flagge der Freiheit
war passiert? Die Neulinge hatten gar nichts getan. Der Befehl galt doch nur dem Geschützführer. Aber mit Stoßen, Ziehen und Schreien wurde ihnen klargemacht, dass die Kanone nach dem Abfeuern mit ihren fünfzehn Zentnern schneller als eine Kutsche zurückrolle und alles zerquetsche, was in ihrem Weg stehe. Wenn das Ziel aufgefasst sei, wenn der Geschützführer die Hand hebe, um das anzuzeigen, dann habe jeder schneller als ein Blitz aus der Bahn zu springen. Wer dafür zu dämlich sei, der müsse künftig ohne Beine laufen.
»Ab Kommando sieben wiederholen!«, befahl Sven.
Leutnant Bauer schrie noch einmal, dass sie das Ziel auffassen sollten. Die Maate rannten umher, erklärten und stießen jene, die wenig Englisch verstanden, aus der Richtung des Rücklaufs. Dann hoben die Geschützführer die Hand.
Immer noch gab es die eine oder andere Kanone, bei der ein Neuling zur Seite gestoßen werden musste. Leutnant Bauer fluchte, dass selbst Sven staunte, denn da waren Ausdrücke dabei, die er von seinem alten Freund noch nie gehört hatte.
Als dann schließlich der Befehl folgte: »Reinigen und auswischen!«, da gab es neue Probleme. Als die erfahrenen Kanoniere nach Wurm und Wischer greifen wollten, standen die Neulinge im Wege und wurden zur Seite gestoßen. Und ein bulliger Kerl an Kanone sieben hatte jetzt genug. Er schlug den Kanonier nieder, der ihn weggestoßen hatte, und wollte sich im Zorn auch mit dem Geschützführer anlegen.
Aber schon kam der Korporal mit zwei Seesoldaten angerannt. Sie richteten ihre Musketen auf den Wüterich. »Na, schlag schon zu, du dämlicher Ochse. Wir haben lange keinen mehr abgeknallt.«
Da erlosch die Wut, und der Mann ließ sich abführen. »Das kostet dich ein Dutzend Hiebe!«, prophezeite ihm der Korporal. Aber der Vorgang schien niemanden besonders aufzuregen. Die Kommandos gingen weiter. Der Wind hatte etwas nachgelassen, doch das Schiff bockte und taumelte immer noch durch die See.
»Das ganze Programm noch einmal von vorn!«, befahl Sven. Die Maate sahen sich an und verdrehten die Augen. Aber schon rief Leutnant Bauer.
Sie saßen in der Messe und ließen sich ihr Schweinefleisch mit Erbsen auftun. »Wir haben zwei Oberarm- und einen Unterschenkelbruch und natürlich den abgerissenen Arm. Ich hatte mich gerade übergeben, als sie ihn brachten. Aber da wurde ich sofort gesund. So eine schöne Abtrennung hatte ich noch nicht gesehen. Die Sehnen hingen heraus. Die Adern bluteten noch, die Muskeln zuckten ...«
»Mr Bolder, wenn sie nicht augenblicklich mit diesen Sauereien aufhören, schütte ich Ihnen mein Essen ins Gesicht und fechte es mit Ihnen mit dem Degen aus. Es ist ja ekelerregend, was Sie da von sich geben. Und das beim Essen!«, wies ihn der Erste Leutnant zurecht.
»Aber Sir, ich wollte doch lediglich die wissenschaftliche Herausforderung kennzeichnen.«
»Tim, wir sind keine Ärzte. Halten Sie jetzt lieber den Mund!«, beruhigte ihn Pendleton. Der Master griente.
»Nachmittags ist Segelübung angesetzt«, lenkte er ab. »Glauben Sie, dass wir da ähnliche Ausfälle haben werden, Mr Bauer?«
»Ich hoffe nicht, denn der Kapitän hat ausdrücklich angeordnet, dass kein Neuling in die Wanten darf. Aber wir haben keine Zeit zu verlieren. Jede Stunde kann ein Gegner auftauchen, und dann fragt keiner, ob wir im Hafen üben konnten oder nicht. Der Kapitän ist kein Leuteschinder. Er hat nie mit dem Leben seiner Männer gespielt. Aber er trägt die Verantwortung, wenn wir nicht vorbereitet sind.«
Die Neulinge in ihren Backschaften waren anderer Meinung. Wenn sie nicht zu müde waren, dann schimpften sie auf den Leuteschinder. Viele waren dabei, die versicherten, sie würden ihre Verpflichtung sofort rückgängig machen, wenn sie könnten. »Das Handgeld kann er sich sonst wohin stecken.«
Die alten Seeleute kümmerten sich um ihr Essen. Wer jetzt quatschte, kam beim Nachschlag zu kurz. Aber als dann der Teller ausgekratzt war, als der erste Schluck Grog durch die Gurgel geflossen war, da hörte man auch andere Töne.
»Nun haltet mal die Luft an, ihr Landeier. Jede Minute kann ein Gegner erscheinen. Wenn ihr euch dann so dämlich anstellt wie eben, dann sind wir alle dran. Darum muss der Alte euch so schnell wie möglich dahin bringen, dass ihr im Kampf etwas taugt. Und wie soll er das machen ohne Drill, ihr Pfeifen? Soll er warten, bis die See glatt ist und die Sonne scheint, damit ihr verwöhnten Hosenscheißer ja nicht über eure
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